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Bau geht vor Besitz

■ Senat gibt bei Mauergrundstücken Investitionen Vorrang und setzt sich über einstimmigen Parlamentbeschluß hinweg

Berlin. Auch bei Mauergrundstücken will der Senat nach dem Grundsatz des Investitionsvorrang vorgehen, wenn ein Investor dort Interesse an einem Bauvorhaben bekundet. Wie Bausenator Wolfgang Nagel gestern vor dem Bundesausschuß des Abgeordnetenhauses bekräftigte, sei er dazu durch Recht und Gesetz verpflichtet. Der Senat setzt sich damit über einen einstimmig gefaßten Beschluß des Abgeordnetenhauses hinweg, worin dieses ihn auffordert, nicht über „streitbefangene Mauergrundstücke“ zu verfügen, bis eine Bundesratsinitiative Berlins Erfolg hat, die auf eine generelle Anerkennung der Alteigentümeransprüche an Mauergrundstücken abzielt. Dies ist durch die geltende Bundesgesetzgebung bislang ausgeschlossen.

Zwischen den Vertretern des Senats und Abgeordneten aller Parteien kam es in der gestrigen Ausschußsitzung zu zum Teil heftigen Auseinandersetzungen über diese Haltung der Landesregierung. Anlaß des Streites war ein Mauergrundstück in Treptow, auf dem die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land 136 Wohneinheiten errichten will. Zu diesem Zweck erhielt das Unternehmen von der Bauverwaltung einen Investitionsvorrangbescheid. Für die Alteigentümer besteht keine Möglichkeit mehr, das Grundstück für eigene Zwecke zu nutzen, sie erhalten allerdings, wenn ihre Ansprüche anerkannt werden, den Verkehrswert zur Entschädigung. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß ihre Ansprüche durch den Gesetzgeber generell anerkannt werden. Darauf zielt die Bundesratsinitiative Berlins, über die vermutlich noch im Sommer entschieden wird. Diese Gesetztesinitiative wird nach Ansicht des Bundesausschusses durch Nagels Vorgehen konterkariert, da dadurch bereits über die Grundstücke verfügt werde, bevor überhaupt der Eigentümeranspruch anerkannt sei.

Die Parlamentarier mußten sich von Nagel belehren lassen, daß bei den Mauergrundstücken nicht anders verfahren werde als mit jedem anderen Alteigentümeranspruch auch. Wenn ein Investitionsvorrang beantragt sei, müsse er nach dem Gesetz darüber befinden. Dem widersprach die Abgeordnete Michaele Schreyer, die durchaus einen Ermessensspielraum der Behörde sah. Sie sah durch Nagels Vorgehen die Rechte der Alteigentümer zudem für den Fall gefährdet, daß die Bundesratsinitiative scheitern sollte. Dann jedoch, so machte die Justizsenatorin Jutta Limbach geltend, könnte das Land eh nur für die Betroffenen wirken, wenn es die schätzungsweise 3.000 Mauergrundstücke in der Stadt vom Bund kaufe, um sie an die Alteigentümer zu verschenken.

Nagel macht deutlich, daß er sich auch weiterhin nicht an den Beschluß des Parlaments halten werde, und hinterließ mit dieser Ankündigung eine Runde gleichermaßen verärgerter wie hilfloser Parlamentarier. Die Regierungsfraktionen wollen nun intern über das selbstbestimmte Vorgehen des Senats beraten. Dieter Rulff

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