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München: Bald völlig wehrlos?

Deutschlands Wehrstandort Nummer 1 erwartet drastische Arbeitsplatzverluste in den einstmals krisenfesten High-Tech-Schmieden  ■ Aus München Dominik von Glass

Für Dieter Roschinski ist die Zeit der Sicherheit vorbei. Nach dem Vorstoß von Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, alle Rüstungsprojekte der Bundeswehr auf Eis zu legen, könne die Industrie bei den Hardthöhen-Beschaffern „Planungen nicht mehr erkennen“, beklagt sich der Sprecher des Bereichs Sicherungstechnik der Münchener Siemens-AG. Das Geschäft mit Rüstungsgütern sei „wie Lesen in der Kristallkugel“.

Verwirrung auch bei der Luft- und Raumfahrttochter der Daimler Benz AG, Deutsche Aerospace (Dasa), in Ottobrunn bei München. Sollte Rühe die Wehretatkürzungen von 863 Millionen Mark in drei Jahren durchboxen, traut sich Alois Schwarz, Vorsitzender des Dasa-Konzernbetriebsrats, heute schon vorauszusagen, daß dann „in manchen Dasa-Bereichen die Lichter ausgehen werden“.

So unabsehbar die Folgen von Rühes Rundumschlag sein mögen, eines ist sicher: Er trifft die deutsche Rüstungsmetropole München an einer empfindlichen Stelle – und noch dazu im denkbar ungünstigen Augenblick der ohnehin abbröckelnden Konjunktur.

30.000 Arbeitsplätze sind in und um München direkt oder indirekt von öffentlichen Rüstungsaufträgen abhängig – bei etwa 220.000 Wehrtechnikjobs in der ganzen Republik eine bundesweit einmalige Konzentration. Daß die Industriestruktur der Stadt „ganz stark durch die Rüstungsindustrie geprägt ist“, wie der Münchner SPD- Wirtschaftsreferent Reinhard Wieczorek feststellt, läßt sich auch an einem anderen Indikator ablesen: der Wert der Rüstungsaufträge pro Industriebeschäftigten ist in München fast doppelt so hoch wie in Deutschlands Waffenmetropole Nummer zwei, Hamburg.

Zur regionalen Konzentration kommt die hohe Rüstungsabhängigkeit auf Unternehmensebene: So macht der Dasa-Konzern mit seinen bundesweit 70.000 Beschäftigten rund 30 Prozent seines Umsatzes auf dem Rüstungssektor.

Zudem läuft die im Dasa-Strukturkonzept vorgesehene Arbeitsteilung „im Grunde darauf hinaus, daß Bayern die Rüstung gewählt hat und Norddeutschland die zivile Komponente“, sagt Harald Zeidler, Rüstungsexperte und ehemaliger wirtschaftspolitischer Referent der SPD-Landtagsfraktion. Denn im Dasa-Konzept ist festgeschrieben, daß im Süden – und damit vor allem im Großraum München – nur 30 Prozent der Dasa-Zivilproduktion angesiedelt sein sollen.

Einzelne Standorte der Dasa sind gar total rüstungsabhängig – so die ehemaligen Messerschmitt- Bölkow-Blohm-Werke (MBB)Manching oder Schrobenhausen. Beim Flugzeugbauer MBB insgesamt sowie bei den übrigen Dasa-Töchtern Dornier und MTU liegen die Rüstungsanteile zwischen 40 und 50 Umsatzprozenten; etwas darunter positioniert ist die Münchner Panzerschmiede Krauss-Maffei. Aus dem Schneider ist allein die Siemens AG, die für die Hardthöhe Elektronik wie Radar, Feuerleit- und Kommunikationssysteme baut – mit einem marginalen Anteil von drei Prozent am Gesamtumsatz.

In diese einseitigen Strukturen schlug das Ende der Ost-West- Konfrontation im Jahre 1989 voll ein – rund 4.000 Arbeitsplätze sind seitdem in der Region München abgebaut worden. So wird Krauss- Maffei wohl vergeblich auf einen Leopard-II-Nachfolger warten. Die Dasa-Töchter MBB, MTU und Dornier mußten sich auf das Ende für Tornado und Alpha-Jet einstellen – und ob die Panzerabwehrhubschrauber II und Natohubschrauber II jemals über das Reißbrett- und Prototypenstadium hinauskommen, steht in den Sternen.

Vor diesem Hintergrund hat die Dasa-Konzernspitze vorsorglich schon den Abbau von 2.700 Rüstungs-Arbeitsplätzen in diesem und im nächsten Jahr angekündigt. Auch bei Siemens, Krauss-Maffei, MAN und den Münchner Wehrelektronik-Firmen wie Rohde & Schwarz oder Steinheil versucht man, planmäßig „Ressourcen zu straffen“, wie sich Siemens-Wehrtechnik-Sprecher Dieter Roschinski ausdrückt.

Der ganz große Knall vor allem für den Giganten Dasa käme freilich mit dem endgültigen Verzicht auf den Jäger 90 oder seine Light- Variante – ein Projekt, das Dasa- Betriebsratschef Schwarz politisch als „gestorben“ einstuft. 15.000 weitere Stellen – zumeist in und um München – gingen dann baden.

Wenn so mittelfristig eine Schlüsselbranche mangels Nachfrage austrocknet, wenn etwa die Hälfte der rund 30.000 Münchner Wehrtechnikarbeitsplätze wegfällt – ist dann der ganze High-Tech- Standort in Gefahr? Rudolf Hellmeier von der regionalen Industrie- und Handelskammer übt sich in Berufsoptimismus: wenn 30.000 von 870.000 Jobs in der Region zur Debatte stünden, solle man „nicht dramatisieren“. Es bleibe der Stadt eine „gesunde Industriestruktur“.

Wohl wahr – doch auch die anderen gerade in München vertretenen „Perlen der deutschen Industrie“ (Hellmeier) wie Auto- und Maschinenbau oder Elektrotechnik darben inzwischen. Die Dezemberarbeitslosigkeit in der Stadt lag um 25 Prozent über dem Vorjahreswert – in Bayern waren es 20, bundesweit 17 Prozent mehr. Und nicht nur BMW und Siemens planen weitere Stellenkürzungen.

Schon vor einem Jahr wurde deshalb ein städtischer „Arbeitskreis Produktionsversion“ gegründet, in dem Vertreter der Wehrbranche, der Kammern, der Verwaltung und des Stadtrats nach zivilen Produktionsmöglichkeiten für die Rüstungsbetriebe suchen.

Die bayerische Staatsregierung dagegen, die seit Strauß die Rüstungsbranche als „besonders stabilen und kalkulierbaren Wirtschaftszweig“ (DBG-Chef Dittrich) aktiv förderte, will der Marktwirtschaft plötzlich nicht mehr ins Handwerk pfuschen. „Auf diese Entwicklung muß sich die Industrie einstellen“, ließ Wirtschaftsminister August Lang verlauten. Die Anpassung habe die Industrie „in eigener Zuständigkeit und Verantwortung zu leisten“.

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