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Welcher Stahlstandort darf überleben?

■ Die Industrie will drastisch Kapazitäten abbauen – zuerst in Eisenhüttenstadt?

Brüssel/Berlin (taz/dpa/ap) – Europas Stahlindustrielle wollen ihre Produktionsstätten drastisch verkleinern, um ihr Angebot der stark gesunkenen Nachfrage nach Stahl anzupassen. Die Chefs der größten Stahlkonzerne kündigten gegenüber den EG-Kommissaren Martin Bangemann (Industrie) und Karel van Miert (Wettbewerb) bei einem Krisentreffen in Maastricht am Montag an, ihre Kapazitäten um 26 Millionen Tonnen Rohstahl und 18 Millionen Tonnen Warmwalzerzeugnisse zu verringern. Das würde nach einem Expertenbericht, den die EG-Kommission in Auftrag gegeben hatte, den Verlust von 45.000 Arbeitsplätzen bedeuten.

Die EG-Kommission will mit Hilfe der nationalen Regierungen den Arbeitsplatzabbau mit einer Milliarde DM für soziale Abfederung unterstützen. Die Kommission lehnte es gestern jedoch strikt ab, daß die Unternehmen – wie in der letzten Stahlkrise Anfang der 80er Jahre – in einem Strukturkrisenkartell Quoten für ihre Erzeugnisse festlegen.

Zumindest in Deutschland jedoch unterhalten sich die Stahlbarone mit den jeweiligen Landesregierungen bereits intensiv darüber, welcher Standort dran glauben muß und welcher erhalten werden soll. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) ging am Montag abend bereits die Bundesregierung um Finanzhilfe für die krisengeschüttelte Stahlindustrie im Ruhrgebiet an.

Ganz in seinem Sinne sprach sich gleichzeitig der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahl, Ruprecht Vondran, für eine Stillegung der Eko-Stahl im ostdeutschen Eisenhüttenstadt aus.

Als Ausgleich sollen 1.260 andere Arbeitsplätze geschaffen werden. Da an anderen deutschen Standorten kostengünstiger produziert werden könne, sei zu befürchten, so Vondran, daß mit den bisherigen Plänen die Überkapazitäten nur vergrößert und „in Eisenhüttenstadt ein Dauer-Subventionsfall“ geschaffen werde.

Die westdeutsch dominierte Wirtschaftsvereinigung schlägt deshalb vor, auf die Ausweitung der Warmwalzkapzitäten zu verzichten und statt dessen das vorhandene Kaltwalzwerk der EKO Stahl AG mit Investitionen in Höhe von 310 Millionen DM zu erhalten und dessen Vormaterialversorgung zu sichern. Deutsche Warmbreitbandhersteller müßten sich verpflichten, das Kaltwalzwerk zu „konkurrenzfähigen Konditionen langfristig zu versorgen“.

Den Frachtaufwand für Lieferungen aus Salzgitter, Bremen, Dortmund, Bochum oder Duisburg, der wohl 30 bis 50 Millionen DM kosten würde, will die Industrie allerdings nicht selbst zahlen, sondern mit öffentlichen Geldern beglichen sehen.

Bei EKO Stahl AG, unterstützt vom neuen Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, sieht aber noch niemand einen Anlaß zu einem Kurswechsel. Das von Aufsichtsrat und Treuhand in Auftrag gegebene Konzept basiere auf einer realen Markteinschätzung, hieß es bei EKO-Stahl, die derzeit rund 5.000 Beschäftigte hat, davon 3.400 im Stahlbereich. Eisenhüttenstadt sei, so Rexrodt, zwar kein „einfacher“ Standort, aber ein „industrieller Kern“ und müsse daher nach den Vorgaben der Bundesregierung erhalten werden, solange es kein überzeugenderes Konzept gebe.

Auf der Abschußliste der Industrie stehen neben Eisenhüttenstadt Medienberichten zufolge die Maxhütte im bayerischen Sulzbach-Rosenberg sowie ein Standorte von Krupp-Hoesch wahlweise entweder in Rheinhausen oder in Dortmund. dri

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