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Holigan muß in den Knast

■ Eineinhalb Jahre wegen gezielter Leuchtkugel auf Polizisten und Hamburger Fans

Hooligan muß in den Knast

Eineinhalb Jahre wegen gezielter Leuchtkugel auf Polizisten und Hamburger Fans

„Wer meint, er muß sein Mütchen kühlen, der soll sich einen Sandsack kaufen und dagegenhauen.“ Amtsricher Nordhausen wurde gestern deutlich: Eineinhalb Jahre Haft ohne Bewährung wurden gegen einen 22-jährigen Bremer verhängt, weil der nach einem Werder-Spiel mit Leuchtspurmunition gezielt auf Polizisten und eine Gruppe Hamburger Holligans geschossen hatte. Das war das Doppelte dessen, was der Staatsanwalt gefordert hatte.

Was hat Markus W. dazu getrieben, nach dem Werder-Spiel gegen den HSV aus einem Pulk Bremer Fans heraus eine Leuchtkugel in Richtung Hamburger Fans abzuschießen? Markus W. sitzt auf der Anklagebank, schmal, blaß, einsilbig. Antworten werden in ganz kleiner Münze bezahlt. „Finden Sie es normal, auf andere Leute zu schießen“, fragt der Richter. — „Nee.“

Markus W. ist im Ausland geboren, seinen Vater hat er nie kennengelernt. Nach einer Pflegefamilie kam er wieder zu seiner Mutter, die Ehe war mittlerweile geschieden, die Frau wieder in Deutschland. Ins Heim mit zwölf, mit vierzehn zurück zur Mutter. Doch seit 1987 hat er keinen Kontakt mehr zu ihr. Ein junger Mann ganz auf sich allein gestellt, mit einer „depressiven Grundstimmung“, wie der Bewährungshelfer sagt, und „leicht reizbar“.

Ganze Serien von Autoaufbrüchen stehen in seinen Akten. Verfahren werden eingestellt, Bewährungsstrafen verhängt. Bis 1989 wohnt Markus W. in einer betreuten Wohngemeinschaft des Vereins für Bewährungshilfe, fängt die eine oder andere Arbeit an. Aber da kommt er auch nicht klar. Er lebt bei einem Freund, bekommt Arbeitslosenhilfe. „Er hat keine Orientierung und keine Perspektive finden können“, sagt der Bewährungshelfer. „ Was er denn vorhabe, will der Richter wissen. „Ich habe keine großartige Planung.“

Er sei an dem Tag mehr aus Zufall zwischen die Hooligans geraten. Beim Spiel sei er gar nicht gewesen, sondern auf dem Weg zur Disko. „Mit Leuchtmunition?“, fragt der Richter ungläubig. Ja, die habe er bei einem Bekannten abgeholt. Auf der Hamburger Straße seien dann Flaschen und Steine aus dem Pulk der HSV-Fans geflogen. Da habe er geschossen und sei ruck zuck zu Boden gegangen, weil er von drei Polizisten von hinten überwältigt worden sei. Ende der Durchsage. Mehr will er nicht zu dem Ereignis sagen, das ihm zur Last gelegt wird.

Mehr sagt Markus W. auch nicht, als ein Polizeibeamter nach dem anderen ziemlich dieselbe Version der Geschichte erzählt. Und die klingt ein bißchen dramatischer. Da ist von einer Bremer Hooligan-Truppe von 150 Mann die Rede und von genauso vielen Hamburgern. Drei Zivilpolizisten waren bei den Bremern immer mittenmang. „Fernbetreuung“ heißt das im Polizeijargon. Auf der Hamburger Straße hätte man endlich zueinander gefunden, und dazwischen schob sich eine Polizeikette als Pufferzone. Beide Trupps hätten ein paar Meter vor der Polizei haltgemacht.

Das war der Moment, in dem einer der Polizisten Markus W. dabei beobachtete, wie er einen Gegenstand in Anschlag brachte, und keine Sekunde später sei die Leuchtkugel in Richtung Polizei und Hamburger geflogen. Einem Polizisten knapp am Kopf vorbei, ein anderer konnte gerade noch ausweichen: „Das ist Phosphor. Wenn sich so ein Ding unter dem Helm verfängt, dann kann man sich verabschieden.“ Die drei Polizisten in Zivil haben sofort zugegriffen.

Fünf Polizisten sagen so aus — kein Kommentar von Markus W.. Schwerer Landfriedensbruch hieß die Anklage. Und für den Staatsanwalt war bewiesen, daß W. bewußt und in Absicht gehandelt hat. Andererseits habe er Teile der Tat eingeräumt und immerhin sei das alles auch schon zwei Jahre her und seitdem sei W. nicht mehr aufgefallen: Acht Monate auf drei Jahre Bewährung, 600 Mark Geldstrafe und einen Bewährungshelfer an die Seite — zur Stabilisierung. Der Richter will wissen, ob Markus W. Stellung nehmen will. „Dazu hab ich nichts zu sagen.“

Das Urteil ist hart. Es passiert nicht so oft, daß ein Richter den Strafantrag der Staatsanwaltschaft verdoppelt. Aber Richter Nordhausen wollte ein Zeichen setzen gegen die steigende Gewaltbereitschaft: „Möglicherweise halst man da der Justiz ein weiteres Problem auf, das sie nicht lösen kann. Aber sie muß das Ihrige tun“, sagte er in der Begründung. Daß von dem Geschoß niemand getötet worden sei, das sei purer Zufall. „Schweres Unrecht zieht eine schwere Strafe nach sich. Und die muß so spürbar sein, daß weder der Angeklagte noch irgendjemand sonst Lust hat, nochmal mit Leutspurmunition zu schießen.“ Jochen Grabler

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