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Reiselust

Schön wie im Werbefernsehen

Die deutsche und kanadische Tourismus-Industrie verwandelt ein Stück der Dominikanischen Republik in ein reales Traum-Land

Zu den großen revolutionären Gestalten unseres Jahrhunderts gehört die Werbung: Werbung muß die geheimen Wünsche ansprechen und ins Bild setzen. deshalb bricht sie Tabus und geht immer bis an die Grenze dessen, was wir uns selbst eingestehen.

Offenbar sprechen karibische Palmen-Strände unsere innere Wunsch-Struktur an: das weite Meer, die exotischen Bäume, hochsommerliche Temperaturen, die es überflüssig machen, die Haut unter dicken Hüllen zu schützen, viel Zeit und ein freundlicher Service, der den Bacardi auf dem Tablett direkt an den weißen Sandstrand bringt. Seitdem die Werbung in uns diese Bilder produziert, müht sich die Tourismus-Industrie damit ab, den Traum in ihre Kassen zu lenken, das heißt: erfüllbar zu machen.

Camino del Sol, Cabarete, Dominikanische Republik, Januar 1993. In Deutschland tobt der Orkan, meldet die Bild-Zeitung. Aber es gibt davon nur ein Exemplar in der ganzen Hotelanlage, überhaupt gibt es keine Zeitungen — was Sorgen machen über die Welt. One, two, three... , un, deux, trois... , eins, zwei, drei... tönt es aus dem Pool, der dominikanische Animateur Jose bemüht sich, fettleibigen deutschen und kanadischen Urlaubern schwungvolle Aerobic- Bewegungen abzuringen. Die Struktur des „Kompakt-Vollpension“-Angebotes läßt die Urlauber ahnen, wie schön die Kolonialzeit war: Die Weißen sind die Herren, die Gäste, und die schwarzen Nachfahren der von den Spaniern auf die Karibik-Insel verschleppten afrikanischen Sklaven sind die Bediensteten. Zu den Weißen hat man Vertrauen, sie dürfen bewachte Türen mit einem freundlichen Nicken passieren, bei den einfachen Bewohnern des Landes ist Kontrolle angesagt: es könnte sich um gewöhnliche Taschendiebe handeln. Außerdem sind sie faul, steht im Reiseführer, sagen immer “manana“ und vergessen sofort für immer, was sie tun sollten. Unter den fettleibigen Touristen, die kein Wort spanisch sprechen und mit den Dominikanern deutsch reden, ist das “manana“ aus dem Reiseführer zum geflügelten Wort geworden.

Jose hat einen Volleyball geschenkt bekommen und fragt, was der in Deutschland kostet. Ich sage es und frage, was er denn bezahlt habe. „Bezahlt? Ich gebe nur Koko“, sagt er und zeigt auf die wehenden Kokospalmen am Strand. Kokos-Nüsse sind der natürliche Reichtum des Landes, allein auf der Halbinsel Samana, auf der 40.000 Menschen wohnen, hängen 30 Millionen an den Bäumen — niemand hat sie gepflanzt. Der Reichtum der Dominikanischen Republik ist ihre Natur. Die Sonne scheint eigentlich immer, es regnet beinahe täglich, meist nachts. Bananen, Ananas, Mangos, Reis, Mais, Zuckerrohr, Grapefruit — die Natur hat alles im Angebot.

Jose greift in die Sonnencrem- Dose mit derselben ängstlich- verschüchterten Geste, mit der in alten Filmen die „Neger“ bei der ersten Berührung mit weißer Haut gezeigt werden. Er riecht daran, als habe er noch nie Creme gesehen, streicht sich ein wenig auf den nackten Oberkörper — und schüttelt sich etwas. Creme — niemals. „Meine Haut braucht nur Wasser und Sonne“, sagt er, guckt auf das schäumende Meer. Auch der Mythos vom Authentischen ist eine europäische Schöpfung.

Die Insel, wo sie nicht vom europäischen Massentourismus geprägt ist, bietet derartige Traum-Bilder nicht. Wo die Einheimischen sonntags ihr Picknick veranstalten und keine Hotel-Diener den Sandstrand aufräumen, sieht es aus wie auf einer Müllkippe. Die tropischen Pflanzen, die in Europa die Fensterbänke zieren, wachsen in der Karibik im Freien — aber nicht an den Häusern der Dominikaner. Dort ist alles weggeschlagen, nur braune nackte Erde — um Käfer und Insekten nicht unnötig anzulocken.

Die ersten Anzeichen dafür, daß die Dominikaner von den Hotelanlagen lernen und den natürlichen Reichtum ihres Landes ähnlich in ihrem privaten Bereich herausputzen, sind schon zu erkennen, insbesondere an den Häusern der Reichen, die sich Stein und einen Metallzaun leisten können. Die Werbung revolutioniert also, indirekt und letztlich, auch die Wünsche der Dominikaner. K.W.

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