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Den Rahmen abstecken

Sieben Frauen der Krisenstation im Urbankrankenhaus haben ihre Umgebung fotografiert  ■ Von Anna-Bianca Krause

Schon der Portier des Rathauses Kreuzberg demonstriert, was er von derartigen Kulturereignissen an seinem Arbeitsplatz hält: „Keine Ahnung, irgendwo im ersten oder zweiten Stock!“ ist die feindselige Auskunft auf die Frage, wo denn die Foto-Ausstellung „Sieben Frauen – Eine Krisensituation“ zu sehen sei.

Die wenigen Stellwände sind dann doch nicht zu verfehlen. Beim Erklimmen der Treppe springt schwarze, überdimensionale Schreibschrift ins Auge. „Sie möchten nicht, daß man weiß, wer das Foto gemacht hat?“ steht da auf braunem Packpapier. Die Antwort – „wenn man das Bild sieht, weiß man es doch!“ – offenbart auch den Sonderstatus, den dieses Projekt für sieben Frauen der Krisenstation der Psychiatrischen Abteilung des Urbankrankenhauses innerhalb ihres Alltages hatte. In der ersten Etage des Rathauses, zwischen Feuermelder, Personaltoilette und Blick auf die Yorckstraße hängen nun die Exponate einer Fotoaktion, die auf Initiative des Frauenstadtteilzentrums Schokofabrik und finanziert mit Mitteln der dezentralen Kulturarbeit möglich wurde.

Umgebung ist zunächst einmal das, was die einzelne um sich herum wahrnimmt, wahrnehmen will. Etwa eine sogenannte Reinigungskraft, die unterhalb ihres, mehr aus Distanz, denn aus hygenischen Gründen getragenen weißen Kittels wild gemusterte Leggins – und damit ein anderes, externes Leben offenbart.

Oder die baukastenartige Form eines Betonblocks mit Fenstern, die mit einem Blick auf den wohlsortierten Kanülen- und Spritzenkasten im Schwesternzimmer korrespondiert – ordentliche, gradliniege Strukturen, die den Rahmen abstecken. Direkt nebenan ein Stilleben aus Abfällen, die mehr sein wollen als Zeichen einer dekadenten Wegwerfgesellschaft: ausgetretene Schuhe, leere Zigarettenschachteln, zerlesene Zeitungen, ein zerknitterter Rest Alufolie; damit wäre schon ein Dasein zu stricken.

Frage: „Möchten Sie das Motiv nicht noch einmal fotografieren?“ Antwort: „Das Bild ist doch schon da!“ Die sieben Frauen, von denen zwei anonym bleiben wollten, hatten – bis auf eine Ausnahme – kaum je fotografiert, ihre Arbeiten sind unbekümmert um Fragen der „Technik“. Der häufige Kamerablick durch Glastüren, Fenster- und Trennscheiben oder über das Medium Spiegel ermöglichte indirektes Schauen – und damit die Wahrung der beidseitigen individuellen Grenzen.

Dadurch bekommen Faktoren wie Schärfe, Perspektive, Gewichtung, Focus und Ausschnitt eine andere Dimension. Am oberen Rand einer Fotografie etwa hängen etwas verloren die mit Binden gewickelten Beine einer sitzenden Patientin. Den Rest des Raumes nimmt ein langweiliger, grauer Fußboden ein, die abgebildete Person endet am unteren Ende ihres Nachthemdes. Bis hierher und nicht weiter.

„7 Frauen – 1 Krisenstation“. Bis 20. März in der Wandelhalle des Rathauses Kreuzberg (Yorckstraße 4-11), Montag bis Freitag 9 bis 19 Uhr.

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