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Coming together

■ Liebe, Rassismus & die hohe Kunst des Vorurteils: „Love Fields“ im Wettbewerb

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Lurene nicht, denn sie hat keine Vorurteile. Schon die Frage käme ihr rassistisch vor. Schließlich hat ihr Präsident, John F. Kennedy, viel für die „Negroes“ getan. Lurene denkt stattdessen darüber nach, was Jackie ißt, wenn sie ißt. Und auch denen, die es nicht wissen wollen, erzählt Lurene, daß sie über ihre Fehlgeburt nur hinweggekommen sei, weil Jackie es auch geschafft hat. Lurene ist fast schon eine Jackie-Kopie - allerdings in wasserstoffblond. Im Kopf hat sie den festen Glauben an das Gute der Kennedeys — und genug Herz hat sie auch, um dem Schwarzen im Bus die ausgelesene Zeitung zu schenken.

Aber dann erschrickt sie doch, als mitten in einem Traum ein schwarzes Gesicht über die Lehne guckt und sie aus dem Schlummer weckt. Wer hat Angst vor schwarzen Männern? Niemand. Nur manchmal sind sie irgendwie unheimlich.

Es sind die festsitzenden, kleinen Vorurteile, die Jonathan Kaplan (übrigens Studienkollege von Martin Scorsese an der Filmabteilung der New Yorker Universität), darstellt. Indem er Lurene dabei ertappt, erwischt er auch den Zuschauer, der sich selbst im seelischen Einklang mit seinem gut aufgeräumten Liberalimus weiß und gern darüber schimpft, wenn andere sich plump daneben benehmen.

Rassismus kann auch mit Hilfsbereitschaft verbunden sein. Der gute Mensch glaubt mehr an sein Gutsein als an den anderen Menschen.

Doch Jonathan Kaplan beläßt es nicht dabei. Vorurteile gibt es in alle Richtungen, und ehe man sich versieht, hat man sich in eine unvorhergesehene verrannt.

Michelle Pfeiffer spielt die Vorstadt-Jackie Lurene so, als habe sie das „Catwoman“-Kostüm von „Batman“ niemals angehabt: naiv, selbstzufrieden, geschwätzig. Je mehr sie über sich erzählt, je mehr sie redet, desto weniger will man ihr zuhören. Als Mr. Cater, der schwarze Mann, endlich anmerkt, der Name „Niagara falls“ würde beser zu ihr passen, möchte man ihm innerlich applaudieren und ist wieder reingefallen. Typisch schwarz. Typisch Frau. Typisch zu kurz gedacht.

Lurene ist auf dem Weg nach Washington, um bei der Beerdigung von JFK dabei sein zu können. Als sie bei dieser Gelegenheit den Schwarzen kennenlernt, der mit seinem Töchterchen heimreist, wecken einige Blutstropfen und Striemen am Körper des Mädchens in ihr einen fatalen Verdacht. Sie vermutet, daß Mr. Cater das Mädchen entführt hat, und informiert, ganz treue Staatsbürgerin, das FBI. Aber der Vater hat das Mädchen nur aus dem Waisenhaus geholt...

Lurenes impulsives Engagement für das Kind stürzt das Trio in eine unfreiwillige Odyssee. Der Film hat zu seinem eigentlichen Thema gefunden: der Annäherung zwischen Lurene und Mr. Cater. Auf dem Weg dorthin läßt Jonathan Kaplan sein nuancierter Blick nach und nach im Stich — um der besseren Dramaturgie der beginnenden Affäre willen werden die Ausbrüche des Rassismus zusehend gröber und damit leider auch ungenauer: Schließlich bemüht Kaplan auch noch rotnackige Farmer, die gerne „Nigger“ bluten sehen, um das Mitleid bei Lurene zu steigern. Jetzt weiß jeder, woran er ist. Doch nur der Film zur Bennetton-Reklame, zum Michael-Jackson-Video? Come together, trotz Streß? Zum Glück nicht ganz.

Das schwierige Verhältnis von Lurene und Mr. Cater ist weniger ein Problem der unterschiedlichen Hautgarbe als eines der entgegengesetzten Charaktere. Wie sollen sie zusammenkommen, der stille, in sich gekehrte Vater und die Quasselstrippe mit dem großen Herzen? Jonathan Kaplan führt sie aufeinander zu, indem er sie immer wieder trennt.

Zum ersten Mal möchte Lurene schon am Busbahnhof verschwinden, nachden sie Mr. Cater die Polizei auf den Hals gehetzt hat. Während er für die Flucht ein Auto knackt, soll sie auf Jonelle aufpassen. Doch als der letzte Aufruf für ihren Bus erfolgt, will sie lieber mitfahren. Dem Kind drückt sie einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in die Hand. Dann geht sie aus dem Bild — und geht wieder hinein. Sie hat sich entschieden zu bleiben. Ankommen im Weggehen.

Mit jeder vermeintlichen Trennung kommen die beiden sich näher. Geschickt daran ist vor allem, daß Jonathan Kaplan damit jeden Verdacht von sich lenkt, ein RÜhrstück zu inszenieren — und es trotzdem tun kann. Denn der Zuschauer wünscht es sich. Jeder vermeindliche Abschied, jedes Auto, das ohne Lurene aus dem Bild fährt, ruft dasselbe Gefühl, denselben Wunsch hervor: Dreh um! Komm zurück! Gib dir einen Ruck! Die Kunst der falschen Abgänge: Jonathan Kaplan beherrscht sie perfekt. Christof Boy

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