: Ein Bayer gründet Berliner Autopartei
■ Neugewählter Landesvorsitzender: Für normale Autos freie Fahrt auf der Avus, für Solarmobile auf der Busspur / Benzinmotoren reinigen die Stadtluft / Müssen Bäume schon bald besteuert werden?
Berlin. Ganz was Neues: Bäume produzieren Kohlendioxid. Wenn die von der Klimakommission des Deutschen Bundestages geforderte CO2-Abgabe erhoben werden sollte, „dann müßte man ja jeden Baum besteuern“, sagt der Hesse Jürgen Reichenbach in die 13köpfige Runde, die gerade – wir schreiben das vergangene Wochenende – den Landesverband der „Autofahrer- und Bürgerinteressen Partei Deutschlands Berlin- Brandenburg“ (APD) gründet. Mitstreiter Georg Wagner fällt jedoch auf, daß Reichenbachs These nicht stimmen kann: „Bäume binden doch Kohlendioxid“, meint der 29jährige, der sich um den Landesvorsitz bewirbt.
Aber auch Wagner – er trägt einen himmelblauen Anzug und eine Krawatte, auf der die Panzerknacker zu Hauf grüne Banknoten des Dagobert-Duck-Imperiums aus braunen Säcken verlieren – weiß nicht so genau, wie es sich mit den Giftstoffen verhält. Ein schwedischer Automobilkonzern baue Motoren, aus denen die Luft sauberer herausgepustet werde, als sie hineingekommen sei, behauptet der Kandidat gegenüber der taz. Auch ansonsten scheint die Partei eher gut für Widersprüche zu sein als für Antworten. Straßenbau dürfe nicht verhindert werden, heißt es im Programm, wenn dadurch die Luftverschmutzung vermindert werde. Ob es in der Bundesrepublik eine einzige Straße gibt, mit deren Bau die Schadstoffbelastung durch den Autoverkehr reduziert werden konnte, wissen weder Wagner noch seine aus Westdeutschland angekarrten Parteifreunde zu beantworten.
Um Verkehrspolitik geht es in Wagners Rede, mit der er sich um den Landesvorsitz bewirbt, dann auch gar nicht. Vielleicht ist das der Grund, warum er von zwölf möglichen Stimmen nur neun erhält. Vielleicht haben sich drei Mitglieder aber auch deshalb enthalten, weil Wagner mit Berlin und Brandenburg herzlich wenig zu tun hat. Der Unternehmer kommt aus Bayern, war kurz in den neuen Bundesländern tätig und arbeitet nach eigenen Angaben seit einem Vierteljahr in der Hauptstadt im Graphik- und Satzgewerbe. Er hatte offenbar noch keine Zeit, sein Auto umzumelden. Der PS- starke Saab, der vor dem Parteibüro in der Französischen Straße in Mitte parkt, hat ein Münchner Kennzeichen. Auf seinem Anhänger steht ein Solarmobil.
Dem gehört, glaubt der Herr im blauen Anzug, die Zukunft. Alte Autos ohne Katalysator müßten aus dem Verkehr gezogen werden, weil aber die neuen aus Sicherheitsgründen schwer bleiben müßten, würden auch diese immer mehr als fünf Liter Benzin verbrauchen. Solarmobile sollten auf der Busspur fahren können. Weitere Thesen zur Verkehrspolitik würden sich „aus der Situation der Zeit“ ergeben, sagt Wagner, außer vielleicht die Forderung nach freier Fahrt auf der Avus, für die er sich grundsätzlich stark macht.
Wilfried Hanika, Kulturwissenschaftler aus dem Ostteil der Stadt und seit Samstag stellvertretender Landesvorsitzender der APD, scheint als einziger zu ahnen, daß mit solchen Verlautbarungen keine Wählerstimmen zu holen sind. Die neugegründete Partei, sagt der 39jährige mit dem blonden Zopf der taz, müsse sich zur Verkehrspolitik erst eine Meinung bilden. Wohl auch zum Thema Umwelt: Bäume spenden Sauerstoff. Dirk Wildt
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