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Vom Winde verweht

Die fiaskösen Ski-Weltmeisterschaften endeten mit Sturm und Erfolgen von Katja Seizinger im Super-G und Kjetil-Andre Aamodt im Slalom  ■ Von Thomas Winkler

Morioka (taz/dpa) – „Skifahren ist ein Sport in der freien Natur. Damit müssen wir leben.“ FIS-Generalsekretär Gian-Franco Kasper verteidigte vehement die Vergabe der alpinen Ski-Weltmeisterschaften nach Japan und den Ablauf des Fiaskos gegen alle Kritik. Das Lieblingsargument des Berufsoptimisten war, daß man sich das Wetter nicht aussuchen kann, und diese WM bewies einmal mehr, daß selbst solche Gemeinplätze immer wieder die Größe von Weisheiten erlangen. An vier Wettkampftagen tat sich außer Schneetreiben und Windböen überhaupt nichts, und nur ein einziges der zwölf Rennen, der Kombinationsslalom der Männer, konnte zum ursprünglich geplanten Termin stattfinden. Der Männer-Super-G fiel dem dauerhaft tobenden Sturm endgültig zum Opfer und soll bei Gelegenheit im Rahmen der Weltcuprennen in Amerika oder Skandinavien nachgeholt werden. Das gab sogar Kasper zu denken: „Wir befürchten, daß der weltweite Erfolg nicht wie erwartet eintreffen wird.“ Die europäische Ski-Industrie, die mit der Veranstaltung den Verkauf im größten Ski-Markt der Welt noch einmal ankurbeln wollte, hat ihre Millioneninvestionen wohl in den Schnee gesetzt.

Der Internationale Skiverband (FIS) übte sich schon während der Katastrophe in Schönfärberei und Schadensbegrenzung. Vor der WM holte sich die FIS bei den nationalen Verbänden einen Freischein, um das Programm nach Lust, Laune und Wetterbedingungen umstellen zu können. Auf welchem Hang der Wind gerade mal nicht so stark wehte, fand dann das zugehörige Rennen statt – oder auch nicht. Die Einschaltquoten in Europa sanken daraufhin ins Bodenlose, denn wer schlägt sich schon eine Nacht um die Ohren, wenn sich die nächtlichen Live-Bilder kaum noch vom Schwarzweißrauschen nach Sendeschluß unterscheiden?

Zu allem Überfluß fing sich der einzige wirkliche Star, den der alpine Rennsport hat, auch noch eine fiese Darmgrippe ein, die durchs Aktiven-Hotel geisterte. Alberto Tomba verkraftete offensichtlich nicht den Entzug seiner Spaghetti-Diät in den ans Bett gefesselten Tagen und fädelte beim Slalom bereits nach 35 Sekunden des ersten Durchgangs ein. Zuvor hatte „La Bomba“ bereits geschwächt den Riesenslalom absagen müssen. Der dreifache Olympiasieger wartet immer noch auf einen Erfolg bei Weltmeisterschaften. Trotzdem sind die Verantwortlichen weiter überzeugt: „Die WM war ein Erfolg und eine große Sache für diese Region“, sagte der Milliardär Yoshiaki Tsutsumi, weil er es sagen mußte, denn es war sein Geld, das da verloren im Wind flatterte. Bisher hatte die FIS an Weltmeisterschaften immer gut verdient, diesmal glaubt auch FIS- Präsident Marc Hodler: „Ich bin froh, wenn wir hier ohne Verlust rauskommen.“

Die einzigen, die sich richtig freuen konnten, waren die Medaillengewinner, die sich als Entschädigung für die ungesunde Betätigung in der unwirtlichen Natur wenigstens Plaketten um den Hals hängen durften. Sollte man meinen, aber ausgerechnet der überragende Fahrer dieser WM war nicht einmal damit zufrieden. Kjetil- Andre Aamodt holte sich nach Gold im Riesenslalom und Silber in der Kombination auch noch den Sieg im abschließenden Slalom vor Marc Girardelli und dem Österreicher Thomas Stangassinger, was ihm persönlich aber gar nicht behagte: „Ich bin müde. Die Medaillen sind Streß, wegen der Interviews komme ich nicht ins Bett.“ Der Norweger war nicht nur müdester, sondern auch erfolgreichster Teilnehmer der Wetter-Lotterie und zierte zudem exemplarisch auch den WM-Vorspann des japanischen Fernsehens: Dort gähnte er herzerfrischend. Und sein eigener Trainer charakterisiert den als kommenden Weltcupsieger gehandelten 21jährigen als „träge und schläfrig. Zehn Meter zu Fuß gehen haßt er wie verrückt.“

Immerhin das Luxemburger Ein-Mann-Team sorgte für Abwechslung. Zuerst gewann Marc Girardelli Bronze in der Kombination, dann boykottierte er aus Protest über die zu leichte Piste die Abfahrt („Diese Strecke ist ideal zum Windsurfen“), und am letzten Wettkampftag der Männer wurde er zweiter im Slalom. Zur allgemeinen Erheiterung trug dann immer wieder sein Vater Helmut Girardelli bei, der endlich ausreichend Gründe hatte, seinen tief grollenden, sonoren Baß einzusetzen. Er benutzte jede Gelegenheit, den FIS-Verantwortlichen die Kompetenz abzusprechen. Ein Verdacht, der sich auch der anwesenden österreichischen Legende Karl Schranz aufdrängte: „Die Mannschaftsführersitzung ist die reinste Muppet-Show.“

Immerhin eine fand sich, die richtig glücklich war. Katja Seizinger, die als Favoritin in der Abfahrt um 5/100 Sekunden an Bronze vorbeigeschrammt war, gewann den letzten Wettbewerb dieser WM. Im Super-G lag sie vor der Österreicherin Sylvia Eder und Astrid Loedemel aus Norwegen, die mit diesem dritten Platz und dem zweiten in der Abfahrt andeutete, daß auch die norwegischen Frauen bereit für eine Wachablösung sind. Die Männer gaben schon bei dieser WM, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Lillehammer, den klassischen Alpin-Ski-Nationen Österreich und Schweiz endgültig das Nachsehen. Immerhin verhinderte Urs Lehmann mit seinem Sieg in der Abfahrt ein erneutes Debakel für die Eidgenossen, nachdem sie schon bei der WM 1991 und Olympia 1992 völlig leer ausgegangen waren.

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