: Ansprechpartner für „Gemobbte“
Für die Täter ein Volkssport, für die Opfer ■ Psycho-Terror: gemeines Mobbing am Arbeitsplatz
Akten werden gefälscht, um Anke M. beim Chef anzuschwärzen. Wenn die 23jährige Sachbearbeiterin morgens ins Büro kommt, empfängt sie kein einziger Gruß. Der Betriebs-Dandy kneift ihr in den Po und macht schmierige Bemerkungen. Überstunden bekommt seltsamerweise immer sie aufgebrummt. Klarer Fall: die Kollegin wird gemobbt. Alltag in deutschen Betrieben. Millionen braver Familienväter und -mütter, lockere Yuppies oder nette Auszubildende verwandeln sich an ihrem Arbeitsplatz in des Kollegen ärgsten Feind und kämpfen mit miesesten Mitteln gegen den Mitmenschen.
Das jedenfalls fand der schwedische Arbeitspsychologe Heinz Leymann in zehnjähriger Arbeit heraus. Er forschte an der Uni Stockholm nach den Ursachen für verschiedenste psychosomatische Erkrankungen, Depressionen und Selbstmordversuchen bei Arbeitnehmern. Seine Diagnose: Mobbing.
Am heutigen Dienstag findet ab 10 Uhr im Curio-Haus das erste Fach-Forum zum Thema Mobbing statt, denn bislang haben deutsche Fachleute das Thema Konflikte am Arbeitsplatz verschlafen. Organisiert wird es von der AOK, der Deutschen Angestellten Gewerkschaft und dem kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Mehr als 250 Interessierte haben sich angemeldet, darunter Personalführungskräfte, Betriebsräte und Betroffene.
Für Leymann, der auf der ganztägigen Veranstaltung das Einführungsreferat hält, ist Mobbing Büroterror und neues Krankheitsbild zugleich. Mobbing ist für den schwedischen Psychologen nicht jede fiese Anmache, sondern eine „feindliche oder unethische Kommunikation, welche eine oder mehrere Personen systematisch gegen ein Individuum richten“.
45 dieser feindlichen Handlungen kann Leymann trennscharf unterscheiden. Permanente Rumkritisiererei, lautes Anschreien, aber auch die Einstellung jeglicher Kommunikation gehören genauso zum Repertoire des geübten Mobbers wie das Sich-lustig-Machen über körperliche oder sprachliche Eigenheiten und sexuelle Belästigungen. Die Gemobbten klagen über Schlafprobleme, Herz- und Magenerkrankungen, aber auch Verzweiflungszustände, Depression und Aggression. Nicht selten greifen sie zur Flasche oder zum Pillenröhrchen.
In Deutschland gibt es nach
1Schätzungen Leymanns etwa 1,2 Millionen Betroffene. Jeder sechste Selbstmord soll durch Mobbing verursacht sein. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch den krankheits-
1bedingten Ausfall der Gemobbten dürften sich auf rund 30 Milliarden Mark belaufen.
Die AOK will auf diese Ergebnisse jetzt reagieren. Ihr Konzept:
1Sie will in den Betrieben Ansprechpartner für Gemobbte bereitstellen, um frühzeitig Lösungen zu finden.
Katrin Wienefeld
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