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Weizsäcker propagiert politischen Aktivismus ...

■ ... als Alternative zur Politikverdrossenheit

München/Bonn (AP) – „Wer Grund hat, sich zu ärgern über das Verhalten von Personen, Parteien und Organisationen, denen es um die Macht geht, der soll sich der Politik zuwenden, anstatt ihr verdrossen den Rücken zu kehren.“ Dies verkündete Bundespräsident Richard von Weizsäcker gestern auf einer Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Hinrichtung von Sophie Scholl und anderen Antifaschisten des studentischen Widerstandskreises „Weiße Rose“ in der Münchner Universität.

Es sei geradezu der Sinn von Demokratie, befand der Bundespräsident, Politik nicht nur als Macht der Herrschenden zu verstehen. Jeder sei verantwortlich für das, was er tue, und mitverantwortlich für das, was er geschehen lasse. Das eigentlich Politische sei die Selbstverpflichtung.

Die heutige Demokratie erwecke den Anschein umgekehrter Prioritäten, sagte Weizsäcker. Während sie ursprünglich dem Privatmann das Recht zur Beteiligung am Staat einräumen sollte, verstehe sich der Bürger heute weniger als Träger und mehr als Konsument von Politik. Er organisiere seine Interessen, melde sie an, kontrolliere ihre Befriedigung und verhalte sich wie an einem normalen Markt. Er kaufe mit seinem Stimmzettel oder kaufe nicht. Er brauche den Staat nur für seine persönlichen Ziele, eine darüber hinausgehende, gar moralische Beziehung zum Staat als Gemeinwesen verkümmere.

„Eine freiheitliche Demokratie funktioniert auf die Dauer nur, wenn sie keine bloße Summe von Privatwesen, sondern auch ein Gemeinwesen ist, wenn wir und durch sie und in ihr zusammenhalten“, betonte Weizsäcker.

Ohne Solidarität könne das nicht gelingen. Sonst verliere sie die Fähigkeit zur Lösung von Problemen, reduziere das Politische auf die Macht, und das gehe immer auf Kosten der Freiheit.

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