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SanssouciNachschlag

■ Die Schuld der Worte – Osteuropäische Schriftsteller diskutieren über den Balkankrieg

„Krieg in Europa. Die Schriftsteller und ihre Literatur“ – unter diesem Motto hatte das Literaturhaus Berlin Montag und Dienstag zu zwei Diskussionsabenden eingeladen. Wie artikulieren sich Intellektuelle angesichts der Barbarei, haben sie vielleicht nicht selbst mit dazu beigetragen? Die Unschuld der Worte gegenüber dem Tötungswillen der Waffenmaschinerie. Auf derartig entlastende Klischeevorstellungen ließ sich György Dalos, in Wien und Budapest lebender Schriftsteller und früherer Bürgerrechtler, nicht ein. Am Anfang steht das Wort, die Verfälschung, die Lüge. Seine dokumentarische Erzählung über den Kriegsbeginn 1914 zeigte deutlich, wie sich Kriegstreiberei von Anfang an auf das Wort beruft: auf „gute“ Worte, die instrumentalisiert werden, auf Negativbezeichnungen für den jeweiligen Gegner.

Der Zagreber Verleger Nenad Popovic las eine kurze Skizze aus längst vergangenen Zeiten: ein kroatischer Schriftsteller wird für seinen Vucovar-Roman in Belgrad preisgekrönt, während gerade dort sein serbischer Kollege nicht publizieren darf und statt dessen in Zagreb veröffentlicht. Der eine ist mittlerweile ein gebrochener alter Mann, der seine Stadt Vukovar in Trümmern liegen sieht, während der andere als nunmehriger Präsident Rest- Jugoslawiens durch sein Taktieren Mitschuld an den gegenwärtigen Verbrechen trägt.

Alte Verdienste und kritische Statements sagen überhaupt nichts aus. Sehr deutlich wurde dies in den Wortmeldungen des serbischen Autors Aleksander Tisma, der nach jeder Verbalkritik am Nationalismus seines Staates in ein „Aber die anderen haben ja auch...“ flüchtete. In einer um Altersweisheit und resignative Eloquenz bemühten Pose wurden alle Unterschiede lässig eleminiert: „So ist unser absurdes Leben eben einmal.“ Das Universelle der Menschenrechte, das Anprangern ihrer Verletzung – für Tisma nur eine müde Handbewegung wert.

Die in Ljubljana lebende Serbin Svetlana Slapsak war präziser: in Belgrad als Serben-Hasserin verschrien, in Slowenien als Milosević-Agentin beargwöhnt, erlebte sie am eigenen Leib die expandierenden Denunziationen. Auch sie konnte ihn bestätigen, jenen gepflegten Salon-Nationalismus in Ljubljanas Intellektuellen-Kreisen, von dem die Moderatorin Iris Radisch sprach. Dennoch, ihre Botschaft war eindeutig: Die Hauptschuld tragen jene serbischen Intellektuellen, die in atemberaubender Geschwindigkeit vom Kommunismus zum Nationalismus konvertierten. Sie haben heute wieder hohe Ämter, hetzen an der Propagandafront, stellen ihr Volk als Opfer finsterer Verschwörungen dar – der Vergleich zur Versailles-Demagogie der Nazis sei durchaus angemessen. Am Schluß dieses ebenso aufschlußreichen wie deprimierenden Abends stellte György Dalos die Frage nach den Dissidenten von einst, den Bürgerrechtlern und den Gegnern der Diktatur. Wo bleiben sie? Sie treffen sich in Berlin und stellen sich, bevor sie eine gemeinsame Sprache finden, mit ihrer Nationalität vor. Einer der noch geringsten Schocks in diesem Krieg. Marko Martin

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