: Süßliches Erwachen
■ Düster: „Der Zementgarten“ von Andrew Birkin im Wettbewerb
Eine steinerne Niemandslandschaft, über der stets so ein morbid- grünes Nachmittagslicht liegt, ist das Ambiente dieses Inzestdramas von Andrew Birkin, nach Ian McEwans berühmtem Roman. Ein süßer Rausch umnebelt den 15jährigen Jack, der vor dem angehauchten Spiegel onaniert, sich nicht mehr wäscht, nachts nackt in den Regen läuft, an der Härte des Vaters und der Wut der Geschwister abprallt. Der Vater seinerseits stirbt konvenienterweise genau in dem Augenblick, als Jack einmal wieder in höchster Glückseligkeit eine Ladung in den Spiegel geschossen hat. Auch die Mutter rafft's dahin, mysteriös schläft sie aus dem Leben, und Jack ist mit seiner drahtigen, androgynen Schwester, die ihn krank macht in ihrem Bikini, und den beiden kleinen, Tom und Sue allein zu Haus.
Aus Angst vor dem Heim versenken sie die Mutter in einer Zinktruhe mit flüssigem Zement, der zunächst über ihr zusammenschlägt, um später, in den gleichen Rissen aufzuplatzen, die man in Polanskis „Ekel“ sehen konnte — und durch die der Leichengeruch nach außen strömt. Fliegen auf den Apfelsinen, verstreute Cornflakes, verschimmeltes Kartoffelpürree — ständig denkt man an „Ekel“, die Verwahrlosung im Gleichtakt mit einer schief laufenden sexuellen Initiation. „Der Zementgarten“ bewegt sich in solchen Tableaus; die erste Großaufnahme eines Gesichts kommt erst nach einer halben Stunde, bis dahin sieht man Silhouetten, Schatten, Halbtotalen. Ungeheuer langsam, aber unausweichlich, fiebern Jack und seine 16jährige Schwester aufeinander zu, „ganz natürlich“ wie sich der Regisseur Andrew Birkin nicht entblödete zu beschreiben. Nachdem der Mann im Sportwagencoupé, den sich die Schwester kurzfristig lolita-artig angelacht hatte, abserviert ist, liegen sie sich in den Armen, die Welt, die sie längst aufgegeben haben, versinkt ihnen vollends. Edgar Allen Poe hätte den Film vermutlich ebenso gemocht wie Thomas Mann: Die Verbindung von düsterem Romantizismus, süßlich schwulem sexuellen Erwachen und sozialer Dekompensation wirkt heute seltsam altbacken, ein bißchen wie die schlüpfrigsten von Grimms Märchen. Mariam Niroumand
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