piwik no script img

Feste und Feiertage: Notwendige Auszeit vom Alltag

■ Vom mittelalterlichen Festturnier über die Schauaufzüge des Barock bis zur religiösen Prozession waren Feste stets Raum und Zeit öffentlicher Repräsentation

Feste, Feiern, Feiertage sind zunächst eine Auszeit vom Alltag. Dessen soziale, politische und wirtschaftliche Seite wurde und wird oft genug als bedrückend, als bedrohlich empfunden. Feiertage bieten den Menschen, so der Philosoph Odo Marquardt, also ein Moratorium des Alltags, das den Fluß des tristen Einerlei, wenn auch bloß für Augenblicke, zu unterbrechen verspricht.

Gerade dies macht aber das Fest immer wieder anfällig für den Versuch, es zu funktionalisieren. Feste und Feiern waren stets auch der Raum und die Zeit öffentlicher Repräsentation, die der Überhöhung des Alltags und obrigkeitlicher Selbstdarstellung diente – vom mittelalterlichen Festturnier über die Schauaufzüge des Barock bis hin zum bürgerlichen Stadtfest und zur religiösen Prozession. Immer drängt, wie der Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger bemerkt, das Fest in die Öffentlichkeit, immer drängt die Öffentlichkeit zum Fest.

Besonders die katholische Kirche konnte, neben den üblichen weltlichen Fest- und Feiertagen zwischen Dorffest, Krönungstag und Hinrichtungsjubilarium, den Kalender nie vollkriegen. Im Jahr 1234 zählten die Dekretalen Gregors IX. jährlich 85 arbeits- und 95 gerichtsfreie Tage; bis ins 16. Jahrhundert hinein kam es zu einer wahren Sturzflut von Heiligenoffizien, Hochämtern, Helfergedenken, Halb- und Ganzfeiertagen, die in einigen Diözesen auf über hundert anwuchsen, spezielle Orts-, Kirchweih-, Titularfeierlichkeiten nicht mitgerechnet.

Die Industrialisierung verpaßte der kirchlichen Feiertagsflut den Gnadenstoß

Kein Wunder, daß die Feiertagsflut der Obrigkeit irgendwann lästig wurde. Soweit es die überwiegend agrarische Bevölkerung betraf, lag die verordnete „Arbeitsruhe“ oft genug – und meist noch mit der Pflicht zum Meßbesuch verbunden – mitten in der Zeit der Feldbestellung, wenn nicht sogar mitten in der Erntezeit. Ziegen, Hühner, Gänse, falls vorhanden, duldeten ebenfalls keinen Feiertag; die Arbeit mußte im voraus erledigt sein oder nachgeholt werden.

Den entscheidenden Schlag versetzte der Feiertagsflut erst die Aufklärung, den Gnadenstoß schließlich die Industrielle Revolution. 1911 mußte Papst Pius X. die Zahl der Feiertage im gesamten Einflußbereich der Kirche auf schlichte zehn reduzieren. So war im Dienst verlängerter Maschinenlaufzeiten das plötzlich möglich geworden, was vorher ein halbes Jahrtausend als unmöglich galt. Der Pfingstmontag, wenn er denn fiele, wäre somit nicht der erste Feiertag und schon gar nicht der erste kirchliche, der dem modernen „Arbeitsethos“ zum Opfer fiele.

Den radikalsten Säkularisierungsschub hatte mit Sicherheit Frankreich in der Revolution von 1789 erlebt. Dies spiegelte sich in seinen Festen, gegeben mit Pathos, Pomp und Prunk, zu Ehren des „Höchsten Wesens“, der Vernunft.

Auch in Deutschland bekamen staatliche Feiertage größere Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür bietet der Sedantag. Am Anfang wurde der Jahrestag der Schlacht bei Sedan am 2. September 1871 – wo die kaiserlichen Soldaten Wilhelms I. Frankreich besiegt hatten – als Volks- und Friedensfest gefeiert; später enthielt der Sedantag den Charakter eines offiziellen Feiertags. Anfang und Schluß der kaiserlichen Festveranstaltung bildeten Gebete und religiöse Gesänge.

Im Zentrum aber stand die patriotisch beschwörende Erinnerung herausragender Ereignisse des Krieges. So überhöhte die preußisch-protestantische Politik im Sedantag einerseits ihre Identität als Helden und Sieger, andererseits gelang es ihr hierdurch, konkurrierende Strömungen – die junge, erfolgreiche Sozialdemokratie hier, die katholische Kirche in Süddeutschland dort – erfolgreich auszugrenzen.

Folgerichtig verwandelte sich der Sedantag immer mehr in einen militärischen Gedenktag, bis er unter Wilhelm II. schließlich zu einer reinen Militärfeier wurde. Die Faschisten brauchten diese Tradition später nur aufzugreifen, um sie problemlos in ihre eigene Propaganda einzugliedern.

Feiertage als Motor für Konflikte und als Ventil für sozialen Sprengstoff

Feste, Feiern, Feiertage funktionierten in der Kultur stets aber auch als Motor für soziale und politische Konflikte einerseits, als Ventil für Spannungen andererseit. Immer wieder gab es das Fest von unten, als Transportmittel sozialen Sprengstoffs. Eine Linie, die sich ziehen läßt von den großen, bürgerlichen oppositionellen Festen des 19. Jahrhunderts auf der Wartburg und in Hambach über die Feiern der Abgeordneten des Vormärz in Köln bis zu den sozialdemokratischen März- und Lassalle-Feiern und den Maifeiern der Kaiserzeit. In diesem Jahrhundert könnte man das Berliner Tunix- Festival Ende der 70er Jahre sowie die großen Demonstrationen der 80er Jahre und die gegenwärtigen Lichterketten erwähnen.

Hier besteht keine Kontinuität, schon gar keine anthropologische Notwendigkeit, aber immer wieder ein spezifisch angewandtes Mittel, sich mehr oder weniger elegant Gehör zu verschaffen, sich gegenüber Zumutungen und Anmaßungen zumindest symbolisch zur Wehr zu setzen.

Die bürgerlich-private Festkultur entfaltete sich vor dem Hintergrund einer Bewegung zur Innerlichkeit, eines allmählichen Rückzugs aus einer sich anonymisierenden Öffentlichkeit. Zentrale Feste wie Weihnachten oder Ostern wurden zur intimen Familienveranstaltung: hieß es etwa noch 1766 in einer Verordnung des Stadt- und Schultheißenamtes Gerlingen, es seien beim Verstecken der Ostereier (das hier ja noch nicht in der eigenen Wohnung oder im Garten stattfindet, sondern draußen) erneut „Trinken, Spielen und Händel“ aufgetreten, so daß die „unziemliche Ergötzlichkeit“ untersagt werden müsse – so war die Feiertags-Choreographie spätestens an der Wende zum 20. Jahrhundert komplett. Das Fest war zur Fortsetzung des patriarchalischen Alltags mit anderen Mitteln geworden. Stefan Finke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen