: Ein internationaler Strafgerichtshof ist realistisch
■ Interview mit Helga Wullweber, Rechtsanwältin und Vorstandsmitglied im Republikanischen Anwaltsverein, zur Einrichtung eines Tribunals
taz: Frau Wullweber, das einzusetzende Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien soll Massenerschießungen, Folter, Massenvergewaltigungen und ethnische Säuberungen zur Aburteilung bringen. Gibt es überhaupt Gesetze, nach denen diese Verbrechen geahndet werden können?
Helga Wullweber: Es gibt zwei Rechtsgrundlagen: einmal die Genfer Rot-Kreuz-Konventionen von 1949, in denen die genannten Verbrechen als schwere Verstöße und Kriegsverbrechen bezeichnet werden. Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Täter unabhängig vom Tatort, unabhängig von der Nationalität des Täters und des Opfers zu verfolgen und vor ihre eigenen nationalen Gerichte zu stellen.
Die zweite Rechtsgrundlage ist die Völkermordkonvention aus dem Jahre 1948, wobei deren Besonderheit in dem ausdrücklichen Verweis auf einen internationalen Strafgerichtshof liegt.
Wer soll danach berechtigt sein, Anklage zu erheben? Nur Völkerrechtssubjekte oder auch Einzelpersonen, also konkret die Opfer?
Bei einem internationalen Strafgerichtshof oder auch bei einem nur international beauftragten nationalen Gericht müßte es einen Staatsanwalt geben. Daneben können die Opfer als Nebenkläger auftreten und selbstverständlich die Verbrechen anzeigen.
Wer soll angeklagt werden? Die Einzeltäter oder die verantwortlichen Regierungs- oder Militärchefs?
Beide. Aus Gründen der Prozeßökonomie ist es sicher sinnvoll, sich auf die Kommandanten zu konzentrieren, aber ich denke, auf jeden Fall müßten auch einzelne Soldaten mit zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist einfach wichtig, daß so ein einzelner Milizionär sich nicht in der Anonymität der Truppe verstecken kann, sondern damit rechnen muß, daß er, wenn er mordet und foltert und vergewaltigt, auch zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Wie kann man die Täter vor den Gerichtshof bringen, um die Durchsetzung der Ahndung zu gewährleisten?
Zuerst einmal muß das Beweismaterial vorliegen und Anklage gegen die Beschuldigten erhoben werden. Ermittlungsmaterial liegt bereits jetzt bei amnesty international und in kroatischen Völkerrechtsinstituten vor. Die Auslieferung allerdings ist ein politisches Problem. Nach dem Rot-Kreuz- Abkommen und der Völkermordkonvention sind die Staaten verpflichtet, sich gegenseitig Rechtshilfe zu leisten. Sie sind zur Auslieferung verpflichtet, wenn ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Natürlich kann man davon ausgehen, daß sich die Täter in Serbien und in den von Serben okkupierten Regionen Bosniens aufhalten. Ohne internationalen Druck auf die Behörden dort ist eine Auslieferung schwer vorstellbar. Man müßte die dort lebende Bevölkerung von den verbrecherisch kämpfenden Soldaten spalten. Zudem denke ich, daß positive Sanktionen bei der Auslieferung der Kriegsverbrecher hilfreich sein könnten. Man kann zum Beispiel die nach Beendigung des Krieges dringend erforderliche Wiederaufbauhilfe an die Verpflichtung koppeln, die Täter auszuliefern.
Wenn das Tribunal frühestens 1994 etabliert werden wird, können dann überhaupt Verbrechen abgeurteilt werden, die vor diesem Zeitpunkt geschehen sind?
Ja, ein Rückwirkungsproblem ist das überhaupt nicht, weil die Taten als Verbrechen definiert sind.
Halten Sie die Einrichtung eines solchen Gerichtshofes für realistisch?
Ich meine ja, vor allem deshalb, weil dem Rot-Kreuz-Abkommen sämtliche Kriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien beigetreten sind. Nichts hindert den Sicherheitsrat, den Gerichtshof zu beschließen. Schon die Ankündigung, daß die Kriegsverbrecher in Jugoslawien vor ein Gericht gestellt werden, hat präventiven Nutzen und wäre ein Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und der nationalen Sicherheit.
Sehen Sie eine Parallele zum Nürnberger Gerichtshof?
Die Parallele läge darin, daß Kriegsverbrechen durch einen Gerichtshof geahndet werden. Doch die Rückwirkungsproblematik existiert, anders als bei den Nürnberger Prozessen nach 1945, heute nicht. Eine Rechtsgrundlage für die Aburteilung der Kriegsverbrechen und der Täter gibt es seit inzwischen 40 Jahren. Interview: Julia Albrecht
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