: Widerstand gegen Mieterhöhungen
In Ostberlin sind die Wohnungsbaugesellschaften mit einer Protestwelle gegen die „Beschaffenheitszuschläge“ konfrontiert/ Anzeige gegen Vermieter ■ Von Uwe Rada
Berlin. Undichtes Dach, die Mehrzahl der Fenster defekt und an der Fassade bröckelt der Putz. Der Zustand des Mietshauses Kollwitzstraße 79 ist dem Vermieter, der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WIP), seit langem bekannt. Dennoch wurden in der jüngsten Mieterhöhung alle drei „Beschaffenheitszuschläge“ erhoben. Zu Unrecht, wie die MieterInnen finden. Mit einem Protestschreiben haben sie die WIP darüber in Kenntnis gesetzt, daß sie diese Zuschläge erst zu zahlen bereit sind, wenn die Mängel tatsächlich behoben werden.
Wieland Gähde aus der Choriner Straße 57 ging gar noch einen Schritt weiter. Gemeinsam mit dem Aktionsbündnis „Wir bleiben alle“ (WBA) verklagte er die WIP – wegen „Verdacht auf Betrug“. Seine Begründung: Der Wohnungsbaugesellschaft seien die Mängel bekannt gewesen, die Zuschläge hätten demnach nicht erhoben werden dürfen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen.
Wenn an Dächern, Fenstern und Fassaden keine „erheblichen“ Mängel bestehen, so sieht es die im Januar in Kraft getretene zweite Grundmietenerhöhungsverordnung vor, können zusätzlich zur Grundmietenerhöhung von 1,20 DM je Quadratmeter sogenannte „Beschaffenheitszuschläge“ von jeweils 0,30 DM/qm erhoben werden. Von Mieterorganisationen als Abwälzung der Instandhaltungspflicht auf die MieterInnen kritisiert, waren diese Zuschläge von Beginn an heftig umstritten. Insbesondere darüber, was unter „erheblichen“ Mängeln zu verstehen ist, gehen die Ansichten von Mietern und Eigentümern auseinander.
In der Grundmietenverordnung ist diese Frage im übrigen nicht hinreichend definiert. „Noch vor einem halben Jahr wurde keine Gelegenheit versäumt, über den schlechten Zustand der Ostberliner Häuser zu schimpfen, und plötzlich soll alles in Ordnung sein“, klagt ein Mieter der Kollwitzstraße 94. Sein Protestschreiben an die WIP hatte bereits Erfolg: Ein Zuschlag wurde zurückgezogen.
„Obwohl der Senat Mitte letztes Jahres errechnet hat, daß nur bei der Hälfte der Wohnungen alle drei Zuschläge berechtigt sind“, ärgert sich auch Bernd Holtfreter von „Wir bleiben alle“, hätten die Vermieter meist voll zugeschlagen. Bei der WIP ist dies in 75 Prozent der Wohnungen der Fall, wie die Sprecherin der Gesellschaft, Kerstin Nußbeck, der taz bestätigte. Alle Gebäude seien jedoch zuvor von Technikern auf ihren Zustand geprüft worden. Widerspruch gegen die Beschaffenheitszuschläge, so Nußbeck, hätte mit etwa 8.000 MieterInnen jeder Zehnte erhoben.
Doch nicht nur im Prenzlauer Berg, auch in anderen Bezirken ist der Unmut groß. So liegen bei der Wohnungsbaugesellschaft Treptow 6.000 Einsprüche vor, in Lichtenberg sind es 4.500, in Friedrichshain 4.000. Die Reaktion der Vermieter ist indes recht unterschiedlich. Während die WIP jedem Protest noch einmal nachgehen will, scheinen insbesondere private Eigentümer den Widerspruch der Mieter als willkommene Gelegenheit zu nehmen, die Machtverhältnisse klarzulegen.
So heißt es in einem Schreiben der Harry Gerlach Liegenschaftsgesellschaft an einen Ostberliner Mieter: „Sie haben sich der Mühe unterzogen, mit Akribie jeden nur denkbaren Mangel aufzulisten, um daraus den Profit der Nichtzahlung (...) zu erzielen. Aus der bei ihnen überkommenen Gewohnheit, für die Nutzung und Instandhaltung nicht zu zahlen, (...) mag nunmehr Ihr Anspruchsdenken im Hinblick auf den Unterhalt durch den Eigentümer begründet sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen