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Zeit nicht reif für Straßenbahnduelle

Die Ratinger Löwen verlieren auch das zweite Eishockey-Viertelfinale gegen die Düsseldorfer EG klar mit 1:5, und der Reporter testet ausführlich den öffentlichen Nahverkehr  ■ Aus Ratingen Bernd Müllender

DEG gegen die Ratinger Löwen, das war, hieß es in den Medien vorher, das Spiel um die Stadtmeisterschaft. Was falsch ist, denn das kleine Ratingen ist, aller SPD-NRW-Kommunalneuordnungsliebe zum Trotze, eine eigenständige Stadt, zwar acht Kilometer nördlich von Düsseldorf gelegen, aber eben kein Teil davon. „Straßenbahnduell“ war Apostrophierung Nummer Zwei – weil man mit der Bahn zu den Spielen anreisen könne. Kann man? Das galt es zu überprüfen – vorurteilsfrei und akribisch. Also hin zum Eise mit Eisenbahn und Bus und Tram. Der Berichterstatter darf vorwegnehmen, daß er pünktlich ankam im Löwenkäfig (fanintern für die Ratinger Eisarena) und auch wieder nach Hause fand. Daß er ein Spiel sah, welches vor allem zu Beginn von hohem Niveau und höchstem Tempo war (mit einem technisch erstaunlich versierten Liganeuling aus Ratingen), ein Playoff, das erhofft wild hin und her wogte bis zum DEG-Doppelschlag in der 18. Minute durch Valentine und Truntschka. Am Ende hieß es locker 5:1 und damit kann die DEG schon am heutigen Freitag mit einem dritten Sieg das Halbfinale erreichen.

Viel aufschlußreicher als das Match aber waren die beiden Vor- und Nachspiele. Das sportliche Doppel betraf das Zustandekommen der Begegnung überhaupt. Hohn und Spott sowie böse Manipulationsvorwürfe vom ausgebooteten Schwenninger ERC hatte es gegeben, als die DEG vor zwei Wochen ihr Vorrundenspiel zu Hause gegen Ratingen 2:4 verloren hatte (selbst die DEG-Fans sangen: „Wir woll'n keine Schieberei...“) und dem Nachbarn so den Sprung in die Playoffs (und eben das reisetechnisch angenehme Straßenbahnduell) ermöglichte. Dieses Pfusch-Vorspiel ließ die DEG am Mittwoch „nach der schnellen 5:0-Führung“ (Trainer Hans Zach) zwei Gänge zurückschalten, damit das 2:4 im nachhinein nicht noch alberner gewirkt hätte. Und zum Nachspiel in den Schlußsekunden, als es einige Keilereien und Raufereien gab, meinte Zach, die gelte es demnächst zu unterbinden, damit man nicht „erst von Umarmungen“ lesen müsse „und nachher von Mord- und Totschlag“. Witzig, witzig – und selbstentlarvend für ein schlechtes Gewissen.

Das verkehrstechnische Vorspiel am Mittwochabend hatte charmantere Züge. Die Straßenbahn nach Ratingen fährt keineswegs direkt am Düsseldorfer Hauptbahnhof los, Fahrpläne gibt es nicht, und die Informationsschalter sind geschlossen oder überlaufen. Also ersatzweise mit der S-Bahn nach Ratingen-Ost. Erwartungsgemäß ist das Eisstadion tief im Westen der Stadt. Dahin fährt auch die Buslinie 760. Der Fahrer ist ein Prototyp eines Rheinländers: hilfreich und sehr geschwätzig. Zielwunsch Eisstadion gibt ihm Gelegenheit zu langen Abhandlungen über das Zustandekommen des ÖPNV-Duells („Wie unfair von der DEG, unsere Ratinger 4:2 gewinnen zu lassen“) und vor allem zu immer neuen Wegbeschreibungen, von welcher Haltestelle man am sinnvollsten über welche Querstraßen und Kreuzungen schließlich zum Eisstadion komme: „Da, und dann dort...“ Plötzlich schallt es aus dem Hintergrund: „Wo fahren Sie denn hin? Sind Sie blöd? Was ist das denn für'n Fahrer?...“ Die Passagiere sind außer sich.

Zu Recht: Mein Chauffeur hatte sich verfahren! Wirklich: Ein Linienbus war vom Weg abgekommen! Weil der freundliche Fahrer seinem Zeigefinger, der immer Richtung Eisstadion wies, sozusagen nachgelenkt hatte. „Das ist mir ja noch nie passiert. Sie haben mich echt verwirrt.“ Viele Entschuldigungen und ein gewagtes Wendemanöver auf vielbefahrener Straße weiter war er wieder auf Route.

Das Nachspiel indes war weniger kundenfreundlich. Wie kommt man nach einem Straßenbahnduell wieder zurück? Die Straßenbahnlinie 721 fährt weit entfernt vom Löwenkäfig ab. Also den Bus nehmen. Dessen Route läuft am Stadion vorbei – abends indes im Stundentakt. In 50 Minuten der nächste. Per Anhalter klappt es gleich zur nächsten S-Bahn-Station. Durchsage: Wegen technischer Störung 15 Minuten Verspätung. Eine Mitwartende empfiehlt: oben die Straßenbahn nehmen. Sprint treppauf, um – Winken nutzt in Deutschland nichts – kopfschüttelnde Fahrer und Rücklichter zu sehen. Bei Ankunft Düsseldorf Hauptbahnhof ist der Anschlußzug gerade weg. Nun hat D'dorf für zigmillionen-Aufwand den modernsten Bahnhof Deutschlands mit Anzeigedisplays wie auf einem Flughafen. Die sind auch sehr schön, aber von mäßigem Gebrauchswert, wenn nicht genutzt. Der D-Zug Richtung Heimat bekommt ganze 10 Minuten vor Abfahrt einen Zusatz: „Ca 1 Std. Verspätung“, gerade als die letzte Alternative, ein langsamerer Bummelzug, weg ist.

Ersatzweise ist ein IC bis Köln eine weitere Salamischeibe auf dem Heimweg. Verweigerung des Zuschlages nach erregten Diskussionen mit dem zugbegleitenden Beamtenapparat sogar erfolgreich. Dafür wird Verkehrsverbundkarte nicht angerechnet – also teilweise doppelt zahlen. Ankunft des IC in Köln und Abfahrt Anschlußzug nach Aachen sind fahrplantechnisch intelligent gelöst – in der gleichen Minute, und dazu kundenfreundlich – „auf dem gleichen Bahnsteig gegenüber“. So können ihn alle noch sehen, als er, wie beim Staffellauf, genau in dem Moment losfährt, als der IC hält. Die Flüche waren noch im Dom zu hören. Herr, vergebe mir!

Die halbe Stunde weiterer Wartezeit konnte mit zwischenmenschlichen Kontakten bei einigen Glas Kölsch und einem Fachgespräch mit Cracks des SB Rosenheim gefüllt werden, die sich um den Bundesligaaufstieg auf ein Bundesbahnduell mit dem EC Sauerland eingelassen hatten (6:1) und nun auf die verspäteten Züge Richtung Bayern warteten. Bei Ankunft Aachen, immerhin pünktlich, war es 1.32 Uhr, 3 Stunden 47 Minuten nach der Schlußsirene. Bei 99 Kilometern entsprach das einem guten Rennradschnitt von 26,17 Stundenkilometern, der die Forderung nach einem Eishockey-Veloduell nunmehr zwangsläufig aufwirft.

Fazit: Von Schwenningen hätte es nur unwesentlich länger gedauert. Und: Deutschlands öffentlicher Nahverkehr ist nicht reif für Straßenbahnduelle im Eishockey.

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