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Oper ohne Mitleid

■ Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ entfaltet mit nüchternem Blick die Tragödie eines Kotzbrockens

Die kahlen Spundwände eines leeren Schiffsladeraums empfangen den festlich gestimmten Opernbesucher. Ein schwergewichtiger Kraftmensch, total verausgabt, sucht sein Bett und findet Schlaf. Die schützende Spundwand verschwindet, Musik setzt ein, Männer mit Taschenlampen im schwarzen Bühnenraum suchen und finden ihn, den Fischer, und zerren ihn vors Tribunal. So eindringlich und stark ließen Christof Loy (Regie) und Notker Schweikhardt (Bühnenbild), am Donnerstag die Premiere von „Peter Grimes“ beginnen.

Benjamin Brittens Ende der 40er Jahre uraufgeführtes Meisterwerk ist eine merkwürdige Oper. Die großen Publikumsrenner des letzten Jahrhunderts und auch die paar, die das 20. Jahrhundert uns beschert hat, leben davon, mit gewaltigem musikalischem Aufwand den ergriffenen Hörer zur Identifikation mit dem Gescheiterten und den Opfern zu zwingen. Mit Siegfried, Aida und Wozzek, den unschuldig Schuldigen, leiden Komponist, Dirigent, Regisseur, manchmal auch die Orchestermusiker und natürlich das Publikum ergriffen mit.

Benjamin Britten leidet nicht. Mit nüchternem scharfen Blick entfaltet er die Tragödie eines echten Kotzbrockens. Peter Grimes, englischer Fischer an unwirklicher, sturmgepeitschter Küste, ist ein Außenseiter in seinem engen Fischerdorf, dessen

Foto: Jörg Landsberg

Bewohner selbstzufrieden ihr kärgliches Auskommen haben. Peter Grimes will mehr. Sein Traum ist es, den oben erwähnten Laderaum bis zum Rande mit gut verkäuflichen Fischen zu füllen. Sein Glück will er kaufen. Und so entwickelt er „Manchester“-Tugenden: Arbeitskosten niedrig halten (ausgebildete erfahrene Fischergehilfen will er nicht, er kauft sich billig Waisenknaben als Lehrlinge ein), Arbeitsordnung, Sonntagsruhe und Jugendschutzgesetz kennt

er nicht.

Sein unermüdliches, rücksichtsloses Treiben irritiert die Dorfgemeinschaft. Seinen ungebremsten ökonomischen Trieb, dem zwei Knaben zum Opfer fallen, deuten sie falsch. Schwul muß er sein, denn heiraten will er nicht, ein Lustmörder ist er. So geoutet und geächtet geht er auf immer zu den Fischen.

Sein vergebliches Ringen mit dem Dorfkollektiv und dem Meer begleitet eine Musik, die die aufs Geschehen einwirken

den Elementargewalten — dazu gehören Wind und Meer ebenso wie die Äußerungen des Dorfkollektivs beim Schwof in der Kneipe und bei der Außenseiterhatz —, kalt und gewalttätig illustriert. Dieser ihn wie ein Schraubstock umschließenden Musik hat Peter Grimes nichts entgegenzusetzen. Er wird zerquetscht. Weinen wir ihm eine Träne nach? Diesem hier doch!

Denn William Cochran ist Peter Grimes — und das die nächsten 9 Vorstellungen lang. Ein gefährdeter Berserker. Empfindsam, sensibel, zuweilen zärtlich — gleichzeitig sich und andere brutal mißachtend. Sein machtvoller, rauher Tenor, aus voluminöser Brust tönend, kann unglaublich zart, leise und selbstversunken klingen: Ein verrückter Schweinehund, zu dem es doch einen Zugang geben muß, der doch eine Seele haben muß.

Um Cochran, den Stargast als Zentrum herum, baut Christof Loy seine Inszenierung auf. Das Fischerdorf, eher urban skizziert, verliert sich in Zeitlosigkeit, was durchaus zu bedauern ist, denn dieses Werk braucht, um mehr als Musikgenuß zu vermitteln, keine Transformation in die Gegenwart oder ins Zeitlose. Das Dorfkollektiv dringt in beklemmender Weise — theaterwirksam in Szene gesetzt - auf Peter ein. Die überzeugende Dichte der Eingangsszene wird allerdings erst wieder im 3. Akt erreicht. Dazwischen irritiert mich denn doch der Hang der Regie zur choreographischen Stilisierung der Aktionen.

Optisch eindrucksvoll das Bühnenbild von Notker Schweikhardt, Brittens orchestrale Seebilder übersetzt er in die Farbenwelt eines Nolde, Kirchner oder Turner. Zwischen seinen Hintergrund, Projektionen und Zwischenvorhängen, kann visuell aufregend inszeniert werden. Die dörfliche Welt reduziert sich dagegen auf die Farbenpracht, die ein Puff aufzuweisen hat. Mir war es denn doch zuweilen ein bißchen zu schön und zu bunt.

Musikalisch ließ der Abend kaum Wünsche offen. Ira Levin als Dirigent meißelte Kanten und Brüche der Partitur scharf heraus. Grelles Blech und beißende Holzbläser dominierten. Brittens durchaus vorhandenen Hang zu wohligem Streicherklang hielt er eher im Zaum.

Das Sängerkollektiv konnte durch solide bis eindrucksvolle Leistungen (insbesondere Rebecca Turner als Ellen Orford) überzeugen. Der Chor des Goethe-Theaters — sorgsam einstudiert durch Theo Wiedebusch und Mark Daver — beeindruckte sowohl in musikalischer als auch in szenischer Hinsicht.

Heftiger Beifall, einmütiges Bravogeschrei — diesmal auch für Regie und Bühnenbild — belohnten das Goethetheater für diese sehens-und hörenswerte Kraftanstrengung. Mario Nitsche

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