„Am liebsten wäre ich immer auf dem Eis“

■ Obwohl sie meist vor traurigen Kulissen spielen, sind die Eishockeyfrauen des OSC Berlin mit Spaß bei der Sache/ Technisch sauberes Spiel statt Raufereien

Berlin. In den vergangenen Wochen hat Birgit Bandelow wenig Zeit zur Muße gefunden. Auf die schriftlichen Abiturprüfungen mußte sich die 20jährige vorbereiten, in Politischer Weltkunde, Sport und Biologie. Die Freizeit gestaltete sich ähnlich mühevoll: Birgit Bandelow ist eine der wenigen Eishockeyspielerinnen der Republik, Verteidigerin beim OSC Berlin. Und der stemmt sich derzeit mit Macht gegen den drohenden Abstieg aus der ersten Bundesliga, was den doppelten Einsatz aller Aktiven erfordert.

Während es in Sachen Abi recht verheißungsvoll aussieht – „nur in Bio habe ich ein flaues Gefühl“ – ist die Zukunft des OSC ungewiß. 0:4 haben sie ihr erstes Spiel in der Abstiegsrunde in Weißwasser verloren, danach 2:4 zu Hause gegen Düsseldorf. Um den Klassenerhalt zu schaffen, müßten die ausstehenden drei Matches gewonnen werden. Wenn es nicht klappt, wäre das zwar bedauerlich, aber auch keine Katastrophe, sagt Managerin Renate Ostrowski: „Dann steigen wir in der nächsten Saison wieder auf, ganz einfach.“

Auch die Öffentlichkeit tut das nicht; kaum einer nimmt Notiz von den Nöten der OSC-Frauen. Selbst als die Mannschaft vor zwei Jahren den Meistertitel gewann, war das den Zeitungen keine Schlagzeile wert. Und während heute den Männern von Preußen und Eisbären die Zuschauer in Scharen zulaufen, geht es „bei uns familiär zu“, wie Linksaußen Karin Oheinsky sagt. Bei den OSC-Spielen im Eisstadion Neukölln schauen hin und wieder mal Eltern und Verwandte der Spielerinnen vorbei; mehr als zwanzig Leute sind nie da. Wenn sich doch mal Männer in die Halle verlaufen, haben die meist nichts als Häme übrig. Vor ein paar Wochen hat Renate Ostrowski das wieder erlebt, bei einer Talkrunde des Senders „premiere“. Kölns Torwächter Josef Heiß nutzte die Gelegenheit, mal richtig abzurechnen mit dem Fraueneishockey. Überflüssig sei der Sport, genauso unästethisch wie Frauenboxen. So wie Heiß denken fast alle Eishockeyspieler, sagt Renate Ostrowski: „Die wollen ihren Sport für sich behalten.“

Nur zweimal pro Woche dürfen die OSClerinnen zum Training auf die städtische Eisfläche, schon nach einer Stunde müssen sie wieder runter. „Dann kommen die Nachwuchsteams der Männer, und die haben Vorrang“, sagt Birgit Bandelow. Im Sommer, vor Saisonbeginn, bolzt das ganze Team Kondition auf dem Teufelsberg. Dreimal Üben die Woche, „solange, bis wir nicht mehr können.“ Birgit Bandelow, die früher Fußball gespielt hat, ehe sie sich mit 14 Jahren erstmals auf das Eis wagte, hat Spaß an der Fron, Eishockey ist für sie „wahnsinnig abwechslungsreich“: Die Koordinierung der Füße bei gleichzeitiger Kontrolle des Schlägers, das schnelle Hin und Her auf rutschigem Grund findet sie spannend. Angst vor Verletzungen hat sie nicht, schließlich ist der Körper durch Polster und Bandagen geschützt, den Kopf hütet ein bruchfester Helm. Das Knie hat sie sich mal verdreht, im letzten Jahr sprang ein Wirbel aus der Säule, das war alles: „So hart wie bei den Männern geht es bei uns nicht zu.“

Daß vielleicht gerade die Härte den Zuschauern fehlt, hält Bundestrainer Hans-Peter Amend für möglich. Nicht das technisch anspruchsvolle Spiel der Frauen locke die Zuschauer in die Arenen, sondern die Aussicht auf Action und Keilerei bei den männlichen Cracks: „Die Leute wollen, daß es kracht.“ Seit 1990 sucht Amend aus den rund 1.000 organisierten Eishockeyfrauen im Land die besten 30 für das Nationalteam heraus. Im letzten Jahr gehörte auch Birgit Bandelow zum Kreis der Auserwählten, „denn vom Ehrgeiz und von der Technik her fehlt ihr nichts“ (Amend). Was ihr fehlte, war Zeit – die Vorbereitungen auf das Abitur schränkten sportive Nebentätigkeiten ein.

In der nächsten Saison will Birgit Bandelow zurück in die Nationalmannschaft, vorausgesetzt, ihre Ausbildung zum Industriekaufmann läßt Zeit für regelmäßiges Training. Und auch die Kolleginnen wollen sich nicht schrecken lassen von den Plagen des Eishockey-Alltags: Renate Ostrowski wird weiter die Geschäfte des OSC führen und auch mal selbst die Schlittschuhe schnüren, wenn ein Routinier gebraucht wird – früher spielte sie jahrelang Rechtsaußen. Teamkollegin Karin Oheinsky wird auf Linksaußen stürmen und nebenbei die OSC-Kasse verwalten. Alles ohne Bezahlung natürlich, Eishockeyspielerinnen sind Amateure. Aber zufrieden sind sie, sagt Birgit Bandelow, und auch ein bißchen süchtig: „Wenn ich auf dem Eis stehe, würde ich am liebsten immer draufbleiben.“ Holger Gertz