„Förderprogramm Rechtsradikalismus“

■ Große Empörung über den Stopp aller neuen ABM-Maßnahmen/ 250.000 Arbeitslose mehr

Berlin (taz) – „Unerträglich, unerhört, eine Schweinerei.“ Brandenburgs Arbeitsministerin Regine Hildebrandt und ihre Berliner Kollegin Christine Bergmann waren über die Ankündigung der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, keine neuen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in diesem Jahr mehr zu bewilligen, sichtlich empört. Auch für DGB-Chef Meyer ist der Beschluß ein schwerer Schlag ins Kontor. Die Entscheidung von Nürnberg, so Meyer, sei ein „Förderprogramm für Resignation und Rechtsradikalismus“. Die Entscheidung komme einem Votum für „die Abrißbirne, mit der die soziale Stabilität unseres Landes zerstört wird“, gleich. Der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler befürchtet, daß die Bundesregierung auf die aus konjunkturellen Gründen zu erwartenden 400.000 neuen Arbeitslosen „durch ihre Brüningsche Beschäftigungspolitik noch einmal 250.000 Arbeitslose draufsetzt“.

Die stellvertretende ÖTV-Vorsitzende Jutta Schmidt erklärte, statt der versprochenen blühenden Landschaften hinterlasse die Bundesregierung mit jedem ihrer politischen Schritte „mehr Krater und soziale Abgründe“. Der Präsident des Arbeitslosenverbandes, Klaus Grehn, sprach von einem „weiteren Markstein für das Ende des deutschen Sozialstaates“. Im Privatsender RTL kritisierte er insbesondere die Begründung, daß der ABM-Mißbrauch diese Entscheidung gefördert habe. „Der Anteil des Mißbrauchs mit ABM-Maßnahmen beträgt höchstens drei Prozent.“

Die Zahl der ABM-Plätze betrug 1991 im Osten 183.300 und im Westen 83.000. Im vergangenen Jahr schnellte die Zahl mit etwa 400.000 in den neuen Ländern sprunghaft in die Höhe. Im Westen lag sie bei 72.000. Die Bundesanstalt begründete ihren Schritt damit, daß die 1993 für ABM vorgesehenen 9,9 Milliarden Mark bereits verplant seien. „Ich kann eben nicht mehr ausgeben als da ist“, meinte der neue Präsident der Bundesanstalt, Bernhard Jagoda lapidar. DAG-Chef Roland Issen will beim Vorstandstreffen der Bundesanstalt in der nächsten Woche eine Revision des Bewilligungsstopps durchsetzen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU), sprach von einer „kontraproduktiven und falschen“ Entscheidung. Dadurch würden auch die Solidarpakt-Gespräche der Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung am 11. und 12. März in Bonn belastet. In Potsdam, wo sämtliche Länderchefs versammelt sind, um die Gespräche mit der Bundesregierung vorzubereiten, verlangte der niedersächsische Regierungschef Gerhard Schröder (SPD), anstatt weniger müsse jetzt mehr für die Finanzierung der Arbeit getan werden. Das Bundesarbeitsministerium wies darauf hin, daß sich an den Haushaltsmitteln der Anstalt „nichts geändert“ habe. Über die 9,9 Milliarden Mark hinaus gebe es für die neuen Länder das Förderinstrument Arbeitsmarkt Ost, mit dem bei Umweltmaßnahmen, sozialen Diensten und der Jugendhilfe bei der Beschäftigung Lohnkostenzuschüsse in Höhe der eingesparten Arbeitslosenunterstützung gezahlt würden. Damit können der Anstalt zufolge etwa 70.000 Stellen geschaffen werden. Tagesthema Seite 3 und Kommentar Seite 10