: „Ein echter Ersatz für die französische Liebe“
■ Von „Schmuse-Latex“ und „Vibra-Chairs“: Erotik 93, die Fachmesse für nicht jugendfreie Produkte/ Verkaufsschau des einschlägigen Bundesverbandes beeindruckt die Kunden mit gepfefferten Preisen
Berlin. Dem Geschäftsführer von „Hard Line“ aus München blieben am Samstag Spucke und Stimme weg. Aber nicht wegen der vielen Pornovideos mit der Aufschrift „total versaut“ „Inzest pur“ und „extrem pervers“, die es neben vielen anderen Artikeln aus dem Reich der Sinne am Wochenende auf der Fachmesse „Erotik 93“ zu sehen gab. Der Grund für seine strapazierten Stimmbänder waren die ungefähr einhundert neuen Kunden, die er gleich am ersten Messetag in der Kongreßhalle gewinnen konnte.
Obwohl die Geschäfte des 38jährigen mit Firmensitz in München und London sehr gut laufen, ist er fast noch ein Newcomer auf dem Erotikmarkt. Seit 16 Monaten erst handelt der ehemalige Marketingleiter einer Pharmaziefirma mit Gummi-, Leder- und Sado- Maso-Artikeln. Von den 1.200 Produkten, die er im Angebot hat, konnte er nur 300 mit zur Messe bringen. Auf Kleiderbügeln und in Glasvitrinen bietet er viel Latex- und Gummibekleidung – „es gibt eine irrsinnige Tendenz zu Gummi, das ist nahezu explodierend in den letzten Monaten“. Ein weiterer Renner sind die sogenannten „toys“ – Penisknebel, Stahlgeschirre für den Oberkörper, die „vier Tore zur Hölle“ – fünf Metallringe, von denen der größte über die Hoden und die kleineren über den Penis gezogen werden oder mit Nieten besetzte Strafhalsbänder. Es gibt auch Accessoirs, für die es außer einer Artikelnummer keine genaue Bezeichnung gibt. So ein Gerät, das an ein Folterinstrument erinnert und das den Trend zu „immer härteren, martialisch aussehenden Dingen“ bestätigt. Nach mehreren Erklärungsversuchen gibt der Ex-Marketingleiter dem mittelalterlich anmutenden Accessoire schließlich den Namen „Hodensackstrecker mit Hodenquetscher“.
Offiziell nach seinem Beruf gefragt, gibt der seriös mit schwarzem Rollkragenpulli und Wollhose bekleidete Enddreißiger gerne Kaufmann an. „Man muß das ja nicht an die große Glocke hängen.“ Bereut hat er den Weg in die Selbständigkeit keinesfalls. Im Gegenteil. Seine Erfahrungen in Logistik, Marketing und Kalkulation kommen ihm in der neuen Branche zugute.
Regionale Unterschiede bei Sexgebaren kann der „Hard-Line“-Chef nicht ausmachen. Aufgefallen ist dem Kaufmann, der privat gern maßgeschneiderte Lederhosen trägt, die „deutliche Abgrenzung zwischen der Gay- und Hetero-Szene.“ Überraschend stellt er fest, daß Heteros viel mehr „perverse Artikel“ kaufen als Schwule. Schwule würden mehr auf „Optik“, auf „Accessoires, die was hermachen, abfahren. Die Nieten müssen schön glänzen.“ Bei den Heteros sei das „Handling“, die Nützlichkeit entscheidend.
Auch wenn der Ex-Marketingleiter ausschließlich Sexshops in Deutschland beliefert, hat er unter anderem mit dem Ausland zu tun. Wenn es gerade in Polen die billigsten Nieten zu kaufen gibt, werden schon mal bis zu 150.000 Stück geordert. Leder kauft er „sehr billig“ in Südamerika ein und die Fließbandproduktion wurde teilweise nach England verlegt, ab nächstes Jahr wird auch in Ungarn produziert. Der Kontakt zu osteuropäischen Ländern beschränkt sich somit auf Einkauf und Fertigung. „Der Preis für ein Nietenhalsband wäre für einen Osteuropäer doch ein ganzer Monatslohn.“
Noch unerschwinglicher ist der „Vibra-Chair“, eine der Messeneuheiten. Satte 1.490 Mark muß ein Videokabinenbesitzer hinblättern, um seine Kabine mit dem Plastik-Vibrationsstuhl auszustatten. Für Kunden ist das fünfminütige Vibrieren schon für zwei Mark zu haben. Für weitere fünf Mark sorgt ein Pornovideo für die optischen Genüsse und der Stuhl für die entsprechenden Vibrationen.
Auf der Messe wird aber auch an passive einsame Frauen gedacht. Seit einer Woche erst ist der „Love Boy“ auf dem Markt. Da die Dame am Stand der Ero-Technik mit verlegenem Lächeln die Frage nach der Eigenerprobung verneint, muß dem Hochglanzprospekt Glauben geschenkt werden. „Der starke Freund für schwache Stunden“ verspricht Frauen „Gefühle, die sie bisher vielleicht nie kennengelernt haben“. Dafür sollen die „fünf Zungen aus hochwertigem, gefühlsechtem Schmuse- Latex“ sorgen. „Kraftvoll, aber völlig geräuschlos“ rotieren die auswechselbaren Latex-Zungen und „sorgen für echten Ersatz der französischen Liebe bei höchster Lusterwartung“.
An aktivere Kunden dagegen wendet sich das international patentierte spanische Modell „Kamata/Sutrakama“. Der Liebestisch, der an einen gynäkologischen Stuhl erinnert und mit Steigbügeln, Handfesseln und einem an einer Kette hängenden Penis ausgerüstet ist, verspricht „den Eintritt in die sexuelle Welt des 21. Jahrhunderts.“ „Paaren jeder Art“ verspricht er die „Erfüllung ihrer erotischen Träume.“ Der verschieden einstellbare Tisch, „entworfen für jeden, der genießen kann, gleich welchen Geschlechtes, Alters oder Größe“, eignet sich für das „Praktizieren aller bekannten Stellungen und solcher, die Sie und Ihr Partner sich ausdenken können.“ Der sexuelle Genuß im 21. Jahrhundert hat seinen Preis. Zwischen 13.000 und 15.000 Mark soll der Endverbraucherpreis liegen. Barbara Bollwahn
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