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Zen und die Kunst einen Glühwein zu machen Von Mathias Bröckers

Der Kanzler war also in Indien. Und was machte er da? Staatsbesuch? Von wegen: „Kohl zeigt den Indern, wie man Glühwein macht“. So lautete die „Bild“- Schlagzeile am 22. Februar und nur schwer kann ich der Versuchung widerstehen, diese Kolumne allein durch Aneinanderreihen dieser einzigartigen Perle zu füllen. Aber wir sind hier auch nicht auf einer neo-dadaistischen Performance-Bühne, sondern in der meinungsstarken Analyseabteilung der Weltläufe, also sprechen wir erstens den Headline Award for Foreign Affairs den Kollegen der „Bild“-Zeitung zu. Um zweitens festzustellen, daß ein derartiger Hit mit einem einzigen Preis natürlich längst nicht ausreichend gewürdigt ist. Präziser und prägnanter lassen sich die Verhältnisse von Erster und Dritter Welt, abendländischer Kultur und östlicher Weisheit, Kalkutta und Glühwein, Realität und Wahnsinn einfach nicht ausdrücken. Wie in einer Nußschale haben wir sie vor uns: den großen weißen Mann, der „zeigt“ wie man's „macht“, den kleinen doofen Inder, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, sowie jenes Kulturgut allerersten Ranges, dessen Beherrschung, keine Frage, über das Schicksal des indischen Subkontinents entscheiden wird: die Technik der Glühweinherstellung.

Wen wundert's, daß wir den weiteren „Bild“-Berichten über des Kanzlers prächtige Asienreise entgegenfiebern, am Freitag endlich werden wir belohnt: „Kohl pflückte Kakao auf Java“. Zugegeben, „Kohl zeigt den Javanse Jongens, wie man Nesquick rührt“, hätte uns als Headline noch ein bißchen besser gefallen, dafür aber hat es der Bericht durchaus in sich: „Kanzler Kohl pflückt auf der Farm faustgroße Kakao-Früchte, entdeckte rote und weiße Lilien, sogar einen Zimtbaum: – Das ist gut. Jetzt können wir Glühwein machen. Dann schwitzt der Toni wenigstens mal richtig.– Toni, Kohls Staatsminister Anton Pfeifer lächelte tapfer und zerfloß weiter vor Hitze. Kohl seufzte im Urwald: – Schön ist es hier. Ich bin ja selbst ein verhinderter Bauer.– Bei seinen Gesprächen in der Hauptstadt Jakarta hatte Kohl wieder Erfolg: Firmen beider Länder vereinbarten den Bau einer Reihe Fähr- und Containerschiffe. Gute Nachricht für die deutschen Werften. Morgen fliegt Kohl nach Japan.“ Wer derart erfolgreich faustgroße Früchte pflückt und Zimtbäume als Glühweinadern entdeckt, für den ist es quasi selbstverständlich, daß er auch bei seinen Gesprächen in der Hauptstadt „wieder Erfolg“ hat. Was aber, so lautete die bange Frage übers Wochenende, wird unser (von wem eigentlich??) verhinderter Bauer den Japanern zeigen? Verwirrung am Montag: „Kohl in Japan — Besuch bei Buddhas Zahn“. Lebte Buddha nicht ehelos? Oder hat die Satzmaschine einfach einen „-arzt“ verschluckt? Nein: Kohl war im Shinto-Kloster von Kamakura, wo eine Reliquie aufbewahrt wird. Er zeigte nichts, von Glühwein keine Spur. Doch geht das Gespräch schon bedenklich in diese Richtung: „Der Kanzler will wissen: – Müssen die Zen-Mönche beim Essen Vorschriften beachten?–... Morgen in Bild: Der Kanzler beim Kaiser.“ Wird er dem Tenno zeigen, wie man Tennis spielt?

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