: Nur eine Abrechnung mit „IM Taler“?
Klaus Croissant, linker Anwalt und früherer RAF-Verteidiger, wird wohl nächste Woche wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ für die Stasi verurteilt ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Was war er eigentlich? Ein Verräter der Linken, ein Stasi-Spion oder am Ende nur, wie der frühere stellvertretende Leiter der Stasihauptabteilung Terrorabwehr, Günter Jäckel, behauptete, ein „sachkundiger Einkäufer von Szene-Literatur“? Wie immer das Urteil im Prozeß gegen den 61jährigen Rechtsanwalt Klaus Croissant vor dem Berliner Kammergericht ausfallen wird – die politischen und moralischen Wertungen über das zweite, das geheime Leben Croissants unter dem Decknamen „IM Taler“ werden weit auseinandergehen. Strafrechtlich scheint die Sache nach fünf Verhandlungstagen indessen schon entschieden: Der streitbare Jurist, von seinen wenigen Freunden und UnterstützerInnen liebevoll „Hörnchen“ genannt, wird wohl wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verurteilt. Da bleibt unbeachtet, daß Ex-Stasi-Mann Jäckel Croissant als Agent für „nicht tauglich“ hält.
Den Weg zu einem solchen Urteil betrat das Gericht, als es einen Antrag des Verteidigers Matthias Zieger verwarf. Er hatte gefordert, das Verfahren gegen seinen Mandanten auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes darüber einzuholen, „ob der Straftatbestand des §99 Strafgesetzbuch (geheimdienstliche Tätigkeit) wegen Verletzung des Grundgesetzes verfassungswidrig ist“. Zieger beanstandete die uferlose Auslegung des Staatsschutzparaphen. Faktisch sei „jedes noch so belanglose Gespräch mit einem Vertreter des MfS und jeder Kontakt mit einer Person, von der zu vermuten ist, daß sie dem MfS berichten könnte, von Strafe bedroht“. Dieser Spielraum, der eine „unendliche, unberechenbare und Opportunitätserwägungen Raum lassende Auslegung ermöglicht“, verstoße gegen rechtsstaatliche Prinzipien.
Das Gericht war nicht bereit, Ziegers Auffassung zu folgen und die bisherige Rechtssprechung über Agententätigkeit dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen. Im Umkehrschluß heißt dies, der Strafsenat wird den früheren RAF-Anwalt verurteilen müssen – an der Stasizuarbeit Croissants und seiner 1987 verstorbener Lebensgefährtin Brigitte Heinrich („IM Beate Schäfer“) gibt es keinen Zweifel. Croissant hat zudem selbst eingeräumt, den geheimdienstlichen Hintergrund seiner DDR-Kontakte vermutet und Frau Heinrich mitgeteilt zu haben. So wird denn nicht mehr über den Tatvorwurf verhandelt, es wird nur noch über die Höhe der Strafe entschieden: der Rahmen reicht bis zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe.
Klaus Croissant hat harte Worte für den laufenden Prozeß gefunden. Der Anwalt, der wegen seiner Verteidigung von RAF-Gefangenen Ende der 70er Jahre selbst strafrechtlich belangt wurde, spricht von einer „Mehrzweckwaffe“. Den Bundesanwälten hält er eine „Begleichung alter Rechnungen“ vor – seine Verhaftung im vergangenen September und die seither andauernde Untersuchungshaft nennt er eine „flankierende propagandistische Maßnahme für die laufende Endabrechnung mit allem, was DDR hieß oder mit ihr verbunden war“. Nicht zuletzt glaubt Croissant, daß mit dem Prozeß „die Geschichte des Widerstandes gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem diskreditiert“ werden soll.
Vehement setzt sich Croissant auch gegen den Vorwurf zur Wehr, er und Brigitte Heinrich hätten mit ihrer MfS-Zuarbeit Verrat an der bundesrepublikanischen Linken geübt. Die früheren politischen Weggefährten und Gegner Croissants irritiert zwar nachhaltig, daß die Bundesanwälte jetzt die linksradikalen Bestrebungen quasi zum schützenswerten Staatsgut erklärt haben, die sie früher selbst verfolgt haben. Das Verfahren im Saal 210 des Kammergerichtes ist insoweit aber Pilotverfahren, als unter demselben Spionageverdacht auch gegen den früheren Bundestagsabgeordneten der Grünen, Dirk Schneider, und den einstigen Militanten aus der „Bewegung 2. Juni“, Till Meyer, ermittelt wird. Allen dreien ist gemeinsam, daß sie noch zu Zeiten der DDR von ihrer politischen Nähe zum realen Sozialismus keinen Hehl machten. Bis zu ihrer Entarnung haben die drei auch nie von ihren konspirativen östlichen Gesprächszirkeln berichtet. Sie beteuern dennoch, stets mit „offenem Visier“ für ihre politische Überzeugung gestritten zu haben.
Diesen offenkundigen Widerspruch löst Croissant für sich mit der Behauptung, er habe „der DDR zu einer realistischen Einschätzung der Linken in der BRD verhelfen“ wollen. In der Pose des Verwunderten stellte er in seiner Prozeßerklärung die Frage, warum sein Versuch, „zu einer differenzierteren Bündnispolitik zu gelangen“, nun innerhalb der Linken zum „Verratsgeschrei“ führe. Daß die von ihm überbrachten Informationen nun über die archivierten MfS-Akten zu Brigitte Heinrich in die Hände der Bundesanwaltschaft gefallen sind, belaste ihn selber am meisten.
Berichtet haben der Anwalt und seine Lebensgefährtin allerhand. 1981 lernte Croissant die Abgesandten Mielkes kennen; sie stellten sich unter der Legende vor, Mitarbeiter der SED zu sein. Regelmäßig, berichteten die Mitarbeiter der Stasi-Hauptabteilung XXII vor Gericht, habe man sich mit dem Juristen alle sechs bis acht Wochen getroffen – vorwiegend in den konspirativen Objekten „Kiew“ und „See“. Mündlich und schriftlich habe dieser berichtet, zum Teil seine „Ausarbeitungen“ dort in eine Schreibmaschine getippt.
Die Aussagen Croissant in seiner Prozeßerklärung decken sich im wesentlichen mit den Angaben der früheren Stasi-Offiziere. Danach hat das von „Taler“ und „Schäfer“ beschaffte Material eine bedeutsame Rolle gespielt, ebenso die von beiden abgegeben Einschätzungen. Beim Schriftgut hätte es sich um „legal“ und „halblegal“ Zugängliches gehandelt – außer Flugblättern der linken Szene habe Croissant regelmäßig unter anderem die Zeitschrift konkret, das Autonomenblatt Interim oder das illegale Infoblatt Zusammen Kämpfen angeschleppt.
Auch dem Stasi-Auswerter Petzold galt der IM mit der Registriernummer „XV 5231/82“ als „sehr sachkundige und glaubwürdige Quelle“, ebenso wie Brigitte Heinrich. Das Tandem „Taler/Schäfer“ wurde als Kenner des RAF-Umfeldes und der Autonomen geschätzt – nach der Wahl Heinrichs zur Europaabgeordneten der Grünen verschob sich der Schwerpunkt der „Abschöpfkontakte“ auf die Politik der Grünen und ihre internen Auseinandersetzungen.
Klaus Ritter, im Auslandspionagedienst „Hauptverwaltung Aufklärung“ für die „Bearbeitung“ der Grünen zuständig, bot dem Gericht letzten Mittwoch die Deutung an, der Stellenwert des Duos sei bei den Oberen des MfS (etwa beim Spionagechef Chef Markus Wolf und dessen Stellvertreter Neiber) überbewertet worden. Er behauptete gleichwohl, er habe seine Vorgesetzten mit Informationen des Duos überzeugen können, „daß eine pauschale Verurteilung der Grünen nicht richtig ist“. Was harmlos klang und nach Ritters Angaben zur Aufhebung einiger Einreiseverbote gegen grüne Mandatsträger führte, hat einen entscheidenden Haken. Aufgrund der eingeholten Informationen wurden Einreiseverbote gegen „Feinde der DDR“ bei den Grünen ebenso bestätigt.
Das Strafmaß gegen Croissant wird im wesentlich von der Wertung zweier Vorwürfe abhängen. Die Bundesanwaltschaft hält dem Angeklagten vor, als Agentenlohn insgesamt 71.000 DM kassiert zu haben. Darüber hinaus soll er Brigitte Heinrich für die Stasi angeworben und später als ihr Kurier und Instrukteur tätig gewesen sein. Der ersten Behauptung stehen die Aussagen der Stasi-Mitarbeiter entgegen. Danach bekam der Anwalt im wesentlichen nur seine Auslagen – wenn auch großzügig – zurückerstattet. Unbestritten ist, daß Croissant von Heinrich zusammengestellte Materialien nach Ostberlin überbrachte. Von einen „Kurier im nachrichtendienstlichen Sinne“ wollten Mielkes Ex- Mitarbeiter aber nicht sprechen. Croissants Einlassung, Brigitte Heinrich habe von sich aus den Kontakt zur DDR-Seite gesucht, wird sich schwerlich widerlegen, die behauptete Instrukteurs-Funktion kaum beweisen lassen.
Nachdem alle Beteiligten auf die Vernehmung einer ganzen Reihe weiterer Zeugen verzichteten, könnte am Donnerstag schon plädiert, das Urteil dann am folgenden Mittwoch gesprochen werden.
Für den früheren HVA-Mann Ritter steht fest, daß die guten Beziehungen zur DDR zum „Lebenselixier“ des Anwaltes gehörten. Am Ende seiner Vernehmung richtete Ritter überraschend ein persönliches Wort an den Angeklagten: „Ich wünsche ihnen für den weiteren Lebensgang alles erdenklich Gute.“
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