Ist es schön traurig, ist es nicht?

■ Die Schauspielerin Ortrud Beginnen macht ernst: Mißratenes Kabarett "Wir Mädel singen" im Malersaal

macht ernst: Mißratenes Kabarett »Wir Mädel singen« im Malersaal

Raten Sie mal: Heimat, Wald, Volkslied ... na? ... Häkeldecke, Trachtenschmuck ... immer noch nicht? — Kabarett natürlich, was dachten Sie denn! Deutsches Kabarett oder Kabarett über Deutsche. Nein, eigentlich eher so: deutsches Kabarett über Deutsches, verdammt deutsch. Satire als Realsatire. Verdammt traurig.

Unsere, sag ich mal, „unsere“ Künstler haben den Notstand ausgerufen. Nicht ihren, Gott bewahre. Nein, politisch geht das so jetzt nicht weiter! Eine Nation macht ernst, fünfzig Jahre Spaß hat sich jetzt. Die allgemeine Mobilmachung von links gegen rechts, Nazis, Alt- und Neodeutsches ist ausgerufen. Lachsalven — wunderbare Wunderwaffe! — werden eingesetzt gegen alles, was man da so braun aus dem Kakao zieht, nachdem man es empört hineingestoßen hat. Kein Zweifel: Sich totlachen bringt Entlastung. Sehr deutsch.

Folgerichtig befinden wir uns in einer Turnhalle. Sprossenwand, Pferd, Bock, Matte: hier macht der Deutsche sich fit für die Weltgeschichte. Turnvater Jahn als Erzieher. Und da hinein — das stellen Sie sich jetzt mal vor — eine deutsche Fernsehshow. Hinten hängt noch der Reichsadler, in seinen Krallen das, pardon der Basketballkorb. Und vorne drei, natürlich deutsche, Frauen. „Liebe Gäste“ usw. Eine der Frauen heißt in Wirklichkeit Ortrud Beginnen (auch kein schlechter Name), ist Schauspielerin und hat sich alles ausgedacht. Hier ist sie die Imogen Bringschuldt und hat sich auch alles ausgedacht. So eine Art Benefizsendung für Ausländer, in der deutsche Sitten und Freuden vorgestellt werden. Sesamstraße im schwarzen Kanal (oder roten? Oder wie?).

Eine andere Frau ist eigentlich ein Mann, heißt Gustav Peter Wöhler und macht sich außerordentlich als Frau. Die dritte, Elke Czischek, kann sehr gut singen, sehr gut ulken und gibt einen sehr doofen deutschen Teenager. Das Ganze heißt: „Wir Mädel singen“. (Ist das überhaupt ein korrekter Plural?) Und es spielt März neunzehnhundertdreiundneunzig im Malersaal. Nur dort und nur dann. Witze? Ja, etwa so: Blutgruppe? — Schlesisch! usw. Im Laufe des Abends wird viel gesungen, viel erzählt und lustig getanzt. Einer spielt auf dem Klavier ein wenig Schumann, nachher singen sie ein paar BDM-Lieder. „Flamme empor“. „Sonnenwendlied“.

Am Schluß wird uns ein großer Chor vorgespielt, vom Band: „Unsere Heimat, die wir so lieb“. Es rauscht ein bißchen, aber trotzdem: sehr schön, sehr erhaben. — Aber als es uns gerade den Rücken runterrieselt, gerade da macht einer das Licht an. Blendendes, häßliches, grelles Licht, das sich auf uns wirft. Oje, so grell — das ist nicht schön! Martin Koziullo