: Der PVC-Test Von Michaela Schießl
Wenn mich jemand fragen würde, mit wem ich am liebsten einen Abend verbringen wollte, gäbe es kein Zögern: mit dem Erfinder des karierten PVC-Bodenbelags. Der Mensch, der dieses Teufelszeug entwarf, muß vollkommen verdreht sein. Oder zutiefst böse. Oder zutiefst witzig. Oder kurzsichtig. Zutiefst verrückt jedenfalls und bestimmt interessant. Denn die Erfindung des schwarzweiß karierten PVC, der arglos in jedem Baumarkt auf Opfer lauert, ist in Wahrheit ein als Bodenbelag getarntes Weltwunder – schön, aber unerklärlich. Lassen Sie sich bloß nicht täuschen, wenn er freundlich, in seiner geordneten Geometrie scheinbar ruhend, von der Rolle lächelt! Vorsicht! Er ist eine heimtückische Prüfung für den Verstand, denn die Geheimnisse, in jenem unscheinbaren Plastik eingearbeitet, sind schier unbegreiflich. Ich behaupte: es ist der zweithärteste Liebestest, gleich nach dem Ehekiller Nummer eins, dem gemeinsamen Tennisdoppel. Die Grundeigenschaft des karierten PVC ist, daß jeder Mensch scheinbar zu blöd ist, ihn zu verlegen. In Wirklichkeit liegt dies am Muster. Das nämlich hat eher ein Zufallsgenerator entworfen als ein Mathematiker: keines, wirklich kein einziges der Quadrate ist wie das andere. Ach, was sag' ich, Quadrate! Es sind keine Quadrate. Noch nicht einmal Rechtecke. Es sind Formen, die Quadraten ähnlich sehen, deren Linien aber, für das Auge kaum wahrnehmbar, bauchig sind. Was die Optik vielleicht verbessern mag. Das Verlegen allerdings wird ein Greuel, wenn Schnittstellen nötig sind. Was bei zwei Meter Breite praktisch immer der Fall ist, wie der verruchte Erfinder wohlweislich überlegte. Doch es dauert, bis man das Geheimnis des PVC erkennt, und bis dahin ist auf jeden Fall der andere schuld. Es fängt meist ganz harmlos an. „Zieh mal ein Stückchen nach links, dann müßte es genau passen.“ Er zieht nach links. Oben paßt es genau, sie jubelt. Unten trifft das halbe weiße auf ein halbes schwarzes Karo. Er zieht es nach rechts. Jetzt paßt es unten. Sie flucht. „Was haste denn wieder gemacht, eben hat doch alles gepaßt.“ Das Unglück nimmt seinen Lauf. Bis er nach der dritten Versöhnung eine geniale Idee hat, um nicht so viel Verschnitt zu haben. „Laß uns die zweite Bahn quer legen.“ Zu dumm nur, daß der hundsgemeine Gummiteppich quer schon ganz anders proportioniert ist als längs. Zu sehen ist das nicht, zu verstehen schon gar nicht. Fest steht nur: Kein einziges Karo will mehr passen. Noch dümmer, daß das vor Stunden noch völlig glückliche Paar diesen Umstand erst nach dem Zuschneiden bemerkt. „Du hast meinen Boden zerschnitten, du Arsch!“ Die Situation eskaliert. Hände gestikulieren bedrohlich durch die Luft, bestückt mit rasierklingenscharfen Teppichmessern. Gemeinplätze übelster Art wechseln die Besitzer: „Mach doch deinen Scheiß alleine, mach' ich auch, dann wird's ohnehin besser, Pfusch, selber Pfusch, erst denken, denn schneiden, zu doof zum Gucken etc. Gewonnen hat das Paar, das den Boden verlegt und trotzdem zusammenbleibt. Dann, und nur dann, ist es echte Liebe. Wenn Sie also glauben, den Partner des Lebens gefunden zu haben, gehen Sie auf Nummer Sicher: Machen Sie den PVC-Test.
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