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Militanz oder Hilflosigkeit

■ betr.: "Kann das Militär der Politik den Weg bereiten?" (Streitgespräch Narr/Puhovski), taz vom 20.2.93

betr.: „Kann das Militär der Politik den Weg bereiten?“ (Streitgespräch Narr/Puhovski),

taz vom 20.2.93

Zwar bezeugen die meisten Streitgespräche zum Bosnien-Konflikt nur noch Militanz oder Hilflosigkeit, aber das zwischen dem Kroaten Puhovski und dem Berliner Prof.Narr zeigt doch annähernd, worum es geht: Die Intervention mit allen ihren militärischen Folgerungen oder Teilung des Landes zwischen Serbien und Kroatien.

Erstes Problem: Die Intervention wollen sehr viele – ausführen sollen es immer andere, die Teilung will niemand, aber sie wird sich wohl abspielen, weil sie niemand verhindern kann, sobald sich Serbien und Kroatien einig sind.

Zweites Problem: Beide Lösungen bedeuten nur uferlos verlängerte Bürgerkriege. Das schreckt natürlich die nicht, die bis zum letzten Bosniaken kämpfen wollen, um Serbien kleinzukriegen (das sind ja schließlich noch die letzten aus den beiden Weltkriegen, die man heute wieder zum Feind Europas erklären kann).

Regierungen sind notwendige Übel, aber wie Puhovski richtig bemerkt, es gibt kein Existenzrecht für Regierungen, die „ihre Bürger nicht vor dem Hungertod oder bewaffneten Aggressoren beschützen können“ (gleichgültig ob wegen Unfähigkeit, verbrecherischer Politik oder krimineller Energie).

Als Konsequenz ergibt sich: Die bosnische Regierung hat die verdammte Pflicht, ihre Unabhängigkeitserklärung zurückzunehmen und dann ins Exil zu fliegen. Unter Beteiligung aller drei Volksgruppen ernennt die UN eine Übergangsverwaltung. Serbien, Montenegro und Bosnien verhandeln unter Mitarbeit von vom Internationalen Gerichtshof beauftragten Verfassungsrechtlern eine neue Verfassung für einen neuen Bundesstaat Jugoslawien, für den dann 1995/96 Wahlen abgehalten werden können. Konsequent wäre es zweifellos, auch Mazedonien dazu zu bringen, denn offensichtlich hat niemand Interesse, das ehemalige Armenhaus des alten Bundesstaates zu finanzieren.

Jetzt werden natürlich die aufschreien, die für Gerechtigkeit und Bestrafung der Kriegsverbrecher kämpfen wollen – natürlich nicht selbst, sonst wären der CDU-Abgeordnete Schwarz und auch einige Grüne schon längst an der bosnischen Front –, aber dieses Szenario ist die einzige Chance:

–in Bosnien wieder Frieden einkehren zu lassen,

–die Vertreibung rückgängig machen zu können,

–in Belgrad eine neue Politik durchsetzen zu können.

Was sind die Alternativen? 1.Der Vance-Owen-Plan schafft aus einem Bosnien zehn kleine Bosnien, ohne an Unterdrückung und Vertreibung viel ändern zu können. 2.Die Teilung zwischen Serbien und Kroatien schafft zusätzliches Elend durch Vertreibungen, Flüchtlingslager und Guerillakrieg. Zwei Millionen Bosnier blieben heimatlos. 3.Für eine ernsthafte Intervention fehlen die notwendigen Kräfte. Keines der 170 UN-Mitglieder wird es verantworten, seine Soldaten in einen Krieg zu schicken, wo diese nicht wissen, ob sie von serbischen, kroatischen oder bosnischen Kräften erschossen werden – keine Regierung außer der türkischen würde die Opfer bringen: und ein Eingreifen der Türkei wird aus dem Balkan eine einzige Kriegszone vom Schwarzen Meer bis zur Adria, von Kreta bis zur Donau machen. Albanien, Mazedonien und die Türkei gegen Griechenland und Serbien (mittelfristig auch Rumänien und Bulgarien), das würde eine Wiederholung der Balkankriege von 1912/13 mit seinen 500.000 Toten. Das einzig Erfreuliche wäre dann der Zusammenbruch der Nato, weil BRD und USA die Türkei, andere europäische Länder Griechenland unterstützen würden. Aber der Preis dafür wäre wohl doch zu hoch. Giselher Rüdiger,

Heigenbrücken

[...] Beide Vertreter berufen sich auf Menschheitsideale und Menschenrecht. [...] Unsere Demokratien sind auf den christlichen Idealen der französischen Revolution von Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit aufgebaut. Als Gesellschaftsstruktur spiegelt sie sich in der Gewaltenteilung und dem Prinzip Legislative – Exekutive – Judikative.

Das Gewaltmonopol (Exekutive) wurde von den gewählten Volksvertretern im Parlament (Legislative) per Gesetz im Staat der Polizei übertragen. Im Verteidigungsfall/Bündnisfall soll die Bundeswehr die Bürger schützen. [...] Wir haben damit das Faustrecht und die Blutrache der Justiz übertragen. [...] Warum fällt es uns so schwer, auch in Bosnien für das unteilbare Prinzip „Recht auf Leben“ zu streiten und für die Folgen die Verantwortung zu tragen?

Grundsätzlich haben wir ja analog zu unserem eigenen Ausländerproblem auch in Bosnien den Fall, daß bewaffnete Soldaten wehrlose Zivilisten töten, plündern, vertreiben, verstümmeln und vergewaltigen. Haben diese Bürger eines zersplitterten Landes nicht auch ein „Recht auf Leben“ und den Anspruch, die Weltgemeinschaft um eine UNO-Schutztruppe zu bitten, die das Gewaltmonopol unter militärischem Schutz ausübt und erzwingt, bis eine politische Lösung möglich wird? [...] A.Unser, Buch/Ammersee

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