: „Die Politik kann verflucht wenig tun“
■ Professor Franz Lehner, Leiter des Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, über die Stahlkrise und den schwierigen Strukturwandel im Ruhrgebiet
taz: Herr Lehner, im Ruhrgebiet droht angesichts der aktuellen Krise im Stahl- und Kohlebereich ein erneuter wirtschaftlicher Rückschlag. Hat die vorsorgende Regionalpolitik versagt? Was kann die Politik tun?
Franz Lehner: Die Krise ist ein Problem der Stahlindustrie, nicht eine Folge der Regionalpolitik. Ich halte es für falsch, bei jeder Krise in der Wirtschaft immer zu fragen, was die Politik tun kann. Die Politik kann verflucht wenig tun; sie kann Infrastrukturmaßnahmen ergreifen und in der einen oder anderen Weise Prozesse unterstützen, aber der Staat allein kann den Strukturwandel nicht von der Macherposition aus durchsetzen. Neue Märkte suchen und neue Produkte schaffen, das ist Sache der Industrie. Wenn man überhaupt von einem Versagen sprechen will, dann vielleicht in dem Sinne, daß sich die Stahlindustrie und die IG Metall zu sehr von der guten Konjunktur der vergangenen Jahre haben täuschen lassen.
Aber in den letzten 20 Jahren sind ja Milliarden an Steuergeldern in diverse Strukturprogramme für das Revier geflossen. War das zuwenig, oder war es falsch angelegt? Oder muß man sich damit abfinden, daß der Wandel Jahrzehnte dauert und hohe Arbeitslosenzahlen während dieser Zeit unvermeidlich sind?
Mit hohen Arbeitslosenzahlen muß man sich nicht abfinden. Aber daß die staatlich eingesetzten Gelder erst nach Jahren oder Jahrzehnten ihre volle Wirkung entfalten, ist gewiß. Ein simples Beispiel: Wenn man jetzt die Fachhochschule Gelsenkirchen ausbaut, wird das für die Unternehmen vielleicht erst in zehn Jahren wirksam. Auch die Gründung von Universitäten schlägt nicht in wenigen Jahren zu Buche.
Das Bild vom erfolgreichen Wandel des Ruhrgebiets bekommt Risse. Wurde zuwenig Neues geschaffen?
Ein Großteil der in den traditionellen Bereichen verlorengegangenen Arbeitsplätze ist nicht ersetzt worden. Es hat sich gezeigt, daß mit der Ansiedlung von neuen Industrien allein eine alte Industrieregion nicht zu retten ist. Da darf man sich nichts vormachen. Allein die Ruhrkohle AG pumpt mit ihren konkreten Einkäufen jedes Jahr 7 Milliarden Mark in das Ruhrgebiet. Dafür durch Neuansiedlungen kurzfristig Ersatz zu finden, dürfte unmöglich sein. Nein, der weitaus bessere Weg ist es, die Altfirmen davon zu überzeugen, daß sie neue Wege gehen müssen. Die Stahlindustrie selbst muß überlegen, wo sie mit ihren Leuten hingehen kann. In diese Richtung hat man bisher in Deutschland einfach nicht gedacht. Bislang war es üblich, daß man die Strukturprobleme dann doch immer relativ schnell über die — wie nennt man das so schön — „Anpassung der Beschäftigung“ gelöst hat. Man hat die Produktion runtergefahren und den Arbeitsplatzabbau sozial abgefedert, aber es ist nichts Neues entstanden.
Was hat die Industrie im Revier falsch gemacht?
Zunächst einmal hat man mit den notwendigen Anpassungsmaßnahmen, die ja absehbar waren, zu spät angefangen. Und man hat sich lediglich passiv angepaßt. Diversifiziert haben die großen Unternehmen durch Zukauf, nicht durch Schaffung von neuen, innovativen Produktionen.
Die Landesregierung hat versucht, durch die Förderung von Technologieparks neue Anstöße zu geben. In Dortmund sind in diesem Bereich schon mehrere tausend Arbeitsplätze entstanden. Sollte man diese Politik fortsetzen?
Diese Politik war notwendig, um Modernisierungssignale ins Ruhrgebiet zu senden. Aber jetzt ist das Instrument des Technologieparks langsam ausgelutscht. Man muß heute mehr in das Entstehen neuer Märkte investieren.
Wo könnten diese Märkte liegen?
(lacht) Wenn ich das wüßte, wäre ich ein schwerreicher Unternehmensberater. Nein, das weiß wahrscheinlich niemand. Was man tun kann, ist, den Suchprozeß im Zusammenspiel von Unternehmern, Gewerkschaften und Wissenschaftlern zu organisieren. Es gibt Erfahrungen aus Japan. Die japanische Stahlindustrie hat auch den Stahlbereich runtergefahren, aber dort war es einfach nicht möglich, Beschäftigte zu entlassen. Deshalb mußten die sich sehr viel stärker auf neue Märkte — zum Beispiel neue Werkstoffe — konzentrieren, was auch geschah. Hier hingegen haben sich die entsprechenden Unternehmen sehr stark an ihrer Vergangenheit orientiert ohne wirklich Neues zu schaffen. Dieses Problem gibt es auch in der viel diskutierten Umweltindustrie des Reviers. Die setzt genau da an, wo sie entstanden ist, nämlich im altindustriellen Bereich. Was fehlt, ist der Schritt nach vorne. So wird zum Beispiel mit aufwendigen Filteranlagen eine „End of the pipe“- Technologie entwickelt – dabei wissen wir, daß wir den umweltindustriellen Bereich in Richtung Vermeidung und Recycling umorientieren müssen. Da sind wir sehr langsam reingegangen. Das ist ein stückweit Strukturkonservatismus im Ruhrgebiet.
Der sogenannte „sozial abgefederte Arbeitsplatzabbau“ hat eine Menge Geld gekostet. Zur Zeit wird der deutsche Steinkohlebergbau mit über 10 Milliarden Mark pro Jahr subventioniert — für gerade noch 100.000 Beschäftigte. Wäre jetzt nicht ein drastischer Kapazitätsabbau vernünftig, um das Geld in zukunftsträchtige Bereiche einzusetzen?
Ich halte das für einen Fehlschluß. Diese simple Patentlösung: Stellt die Subventionen ein, macht was anderes damit, und dann wird der Markt es schon richten, die ist einfach kleinkariert. Die geht an den Realitäten vorbei. Der Markt ist wie der Teufel, und der Teufel scheißt auf den größten Haufen. Es ist noch nie eine schwache Region oder ein schwaches Unternehmen am Markt genesen. Auch wenn wir den Bergbau auf Null runterfahren würden, stünden ja nicht die 10 Milliarden zur Verfügung! In diesem Betrag sind ja Gelder für Sozialpläne, zur Beseitigung von Altlasten, zur Wasserhaltung und und und enthalten.
Was folgt aus ihrem Plädoyer für den vorübergehenden Erhalt von Subventionen für den Stahlbereich?
Man muß die Stahlstandorte sichern und parallel etwas Neues aus dem Kontext der bestehenden Firmen heraus aufbauen. Also: Wenn Subventionen, dann aber nicht, um das Sterben zu verlängern, sondern um neues Leben aufzubauen.
Im Revier kann man verfolgen, wie schwierig der sich nun schon drei Jahrzehnte hinziehende Strukturwandel zu bewerkstelligen ist. Wird der Wandel in Ost- Deutschland auch mehrere Jahrzehnte dauern?
Das halte ich für eine sehr wahrscheinliche Perspektive. Im Vergleich zu Ostdeutschland haben wir hier im Revier ja noch relativ günstige Voraussetzungen: eine erstklassige Infrastruktur, eine dichte Hochschul- und Forschungslandschaft und immer noch eine relativ hohe Massenkaufkraft. Wir sind noch gut dran.
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