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In Thüringen sackt der Boden weg

DDR-Regierung ignorierte Bergbauregeln  ■ Aus Sondershausen Marita Vollborn

Ströme von Wasser ergießen sich über das Pflaster der thüringischen Kreisstadt. Der Regen, im Sommer wertvollstes Gut für die niederschlagsarme Region um Sondershausen, wird von den Bewohnern der Stadt verflucht. Der Grund: Bergbauabsenkungen ließen den Boden über Jahre hinweg um 1,50 Meter sacken. Die Folge war, daß die Kanalisationsrohre kein Gefälle mehr haben; Regen- und Abwasser fließen rückwärts. „Kaum hat es eine Viertelstunde geregnet, läuft nichts mehr ab“, erzählt eine Bewohnerin des besonders betroffenen Stadtteils Wippertor. Wohlweislich wurden zu DDR-Zeiten die vierstöckigen Wohnhäuser ohne Keller gebaut, denn schon immer, wenn die Wipper über ihre Ufer trat, stand das Wasser zentimeterhoch in den Straßen.

Sondershausen, ein zu Füßen des Höhenzuges Windleite idyllisch gelegenes Städtchen, blickt auf eine hundertjährige Bergbaugeschichte zurück. Ende des 19. Jahrhunderts begann man hier, Kalisalz zu fördern. Der Bodenkundler Justus von Liebig war es, der die Bedeutung des Kali für die Landwirtschaft entdeckte. Seitdem holten die Kumpel in Sondershausen pro Tag bis zu 7.700 Tonnen des hochwertigen Rohsalzes aus der Tiefe; eine Menge, die der DDR half, dringend benötigte Devisen zu verdienen. Der sozialistische Staat war einst drittgrößter Düngemittelexporteur der Welt. 1988 produzierte die Chemische Industrie 3,5 Millionen Tonnen Kalidüngemittel. Die Ausfuhr der Rohsalze und Dünger erreichte im gleichen Jahr eine stolze Menge von 2,8 Millionen Tonnen. Zusätzlich wurden 1,8 Millionen Tonnen Steinsalz exportiert.

Mit der deutschen Einheit begann das Grubensterben im Osten. Auch Sondershausen blieb davon nicht verschont, die Arbeit unter Tage erlahmte und erlosch schließlich ganz. Von den einst 2.700 Beschäftigten des Kaliwerkes „Glück auf" sind etwa 200 übrig geblieben; gefördert wird in Sondershausen seit einem Jahr nur noch der Unmut der Bergleute.

Besonders bitter ist daher die stetige Senkung des Gebiets als Erbe des Bergbaus. Fünf Millimeter im Jahr gibt die Erdoberfläche nach, bis zum Jahr 2010 werden es voraussichtlich 2,50 bis 3 Meter seit Beginn der Messungen sein. Aber Thüringens Umweltminister Hartmut Sieckmann (FDP) sieht darin keine Gefahr für das insgesamt 35 Quadratkilometer große Bergsenkungsareal: „Die Senkung vollzieht sich kontinuierlich, so daß wir kaum mit Brüchen oder Rissen rechnen müssen. Für eine geeignete Methode, dem Senkungsprozeß entgegenzuwirken, halten wir den Hohlraumversatz.“ In bruchgefährdeten Gebieten sollen zusätzlich die Randzonen der Hohlräume abgetragen werden, um eine Senkungsmulde zu bilden; das abgebaute Steinsalz wird als Verfüllmaterial genutzt.

Fatal für die Gegend wirkt sich das in der DDR praktizierte Verfahren aus, an den für die Festigkeit des Stollens unverzichtbaren Pfeilern, den „Zeugen“, zu sparen. Diese stehengelassenen Säulen der Lagerstätte wurden immer weiter abgetragen – schließlich bestanden sie aus devisenbringendem Kalisalz. Mit ihnen aber reduzierte sich die Festigkeit der unterirdischen Hohlräume; Wasser tat sein übriges. Und nicht überall, wie in Schacht 1 des ehemaligen Werkes „Glück auf“, versprach die Geologie ausreichenden Halt: Hier sorgten der sehr stabile Buntsandstein und die folgenden flexiblen Schichten aus Steinsalz, Salzton und Anhydrid für Beständigkeit. Das stark wasseranziehende Carnallitit hingegen gefährdet die Stabilität.

Ändern kann man das, was damals von den Leitungskadern des SED-Ministeriums für Bergbau entschieden wurde, nicht mehr. Was bleibt, ist die unterirdischen Hohlräume mit Fest- oder Flüssigstoffen zu verfüllen. „Das können“, so Minister Sieckmann, „Sande, Zement oder Aschen, auch gemischt mit anderen Bestandteilen oder hochkonzentrierte Salzlösungen sein.“ Bundesumweltminister Töpfers (CDU) Vorschlag, die 70 Millionen Kubikmeter Hohlraum unter hessischem, sächsischem und thüringischem Gebiet mit Giftmüll aufzufüllen, sei indiskutabel.

„Es werden keinesfalls Abfallstoffe in die Stollen gelangen, die sich bei einer Flutung negativ auswirken könnten“, beteuert der Minister. Für die Thüringer Landesregierung allerdings scheint Asbest nicht zum Sondermüll zu zählen. Damit nämlich soll das besonders senkungsgefährdete, 0,6 Quadratkilometer große Terrain in Sondershausen gesichert werden. „Asbest ist unter Tage besser aufgehoben als über Tage“, sagt dazu Sieckmann; nur auf dem Luftwege sei der Stoff kritisch. 170 Arbeitsplätze würden durch das Verfüllungsprojekt geschaffen. Die Kosten für die dringendsten Maßnahmen belaufen sich auf rund 17 Millionen Mark – bezahlt werden sollen sie von der mit Steuergeldern wirtschaftenden Treuhandeinrichtung GVV, der „Gesellschaft für Verwertung und Verwahrung“. Einzig den Transport sieht Sieckmann noch nicht ausreichend geklärt; geplant sei „die Verlagerung auf die Schiene – weg von der Straße, um die Bevölkerung so wenig wie möglich zu belästigen“.

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