piwik no script img

„...wünschen uns ein schnelles Kriegsende“

Grüner Länderrat vertagt Debatte über Friedenspolitik und Interventionsforderung angesichts des Krieges in Bosnien/ Doch die parteiinterne Debatte schwelt weiter  ■ Aus Frankfurt am Main Matthias Geis

Was tut der Patriarch, wenn seiner Partei Schaden droht? – Er wendet ab. Für Joschka Fischer jedenfalls war es am Samstag abend auf dem grünen Länderrat in Frankfurt eine Kleinigkeit, die mit Spannung erwartete Debatte zum innergrünen Jugoslawien-Konflikt von der Tagesordnung zu hieven. Eine Mehrheit der Delegierten – nach stundenlanger Diskussion über Frauenstatut, Atom- und grüne Bildungspolitik ohnehin schon leicht ermüdet – folgte Fischers Ansicht, das Jugoslawien- Thema tauge nicht für kurze Redebeiträge und anschließende Kampfabstimmung. „Ihr wißt, wo ich in dieser Frage stehe“, versuchte Fischer jeden Verdacht, er wolle sich in der Sache auch weiter um eine Stellungnahme drücken, zu zerstreuen. Augenzwinkernd akzeptierten die Delegierten, daß Fischer eine polarisierte Debatte verhindern wollte, die am nächsten Morgen die Lust der hessischen Kommunalwählerinnen auf Grün hätte herabmindern können.

Die Frankfurter Vertagung ist symptomatisch. Kein Thema beunruhigt derzeit die grüne Führung mehr als der parteiinterne Dissens in der Jugoslawien-Frage. Mit dem Pazifismus als Grundpfeiler der außen- und friedenspolitischen Orientierung steht ein Zentralstück des grünen Selbstverständnisses zur Disposition. Seit die eher zu den Linken zählende Europaparlamentarierin Claudia Roth und Bundesvorstandsmitglied Helmut Lippelt nach einer Reise ins jugoslawische Kriegsgebiet öffentlich ihre Zweifel an der Realitätstauglichkeit des prinzipiellen Pazifismus anmeldeten, schwelt die parteiinterne Debatte. Fischer – ganz ideeller Gesamtvorsitzender – warnt beide Seiten vor einem neuerlichen grünen „Glaubenskrieg“. Sein niedersächsischer Amtskollege Jürgen Trittin warnt vor einer „grünen Außenpolitik aus dem Bauch“. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Friedens- und internationale Politik warnt vor „unverantwortlichem Eintreten für einen vorgeblich ,gerechten Krieg‘ als Mittel der Politik“.

Den hat bislang zwar noch niemand gefordert, doch die Gedankenspiele einiger Grüner haben angesichts des ethnisch begründeten Ausrottungskrieges gegen die moslemische Zivilbevölkerung in Bosnien den sicheren Boden des grünen Programms längst verlassen. So fordern der Bremer Senator Ralf Fücks und der Europaparlamentarier Graefe zu Baringdorf eine „humanitäre Intervention in Bosnien“, mit der die Versorgung der Zivilbevölkerung, die Auflösung der Gefangenen- und Vergewaltigungslager, die Einrichtung entmilitarisierter Schutzzonen sowie der Boykott von Waffenlieferungen und strategischen Gütern „notfalls auch militärisch“ durchgesetzt werden sollen.

Diese Forderung – und das macht das eigentliche Dilemma der Parteistrategen aus – deckt sich im wesentlichen mit der Mehrheitsposition der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne. In der Frage, wie der leidenden Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien wirksam geholfen werden könne, kündigt sich der erste programmatische Konflikt zwischen den künftigen Partnern an. So haben namhafte Bündnis-90-Vertreter in einem offenen Brief die „Erneuerung“ der Friedensbewegung eingefordert. Es gelte die „Einmischung im Interesse der Menschenrechte“ als zentrales Prinzip einer künftigen Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren. Doch die „linke Selbstdefinition“ der Friedensbewegung verhindere noch immer die Wahrnehmung der realen Konflikte, das pazifistische Prinzip drohe „zum Beschwörungsritual“ zu verkommen. Auch in Zukunft müsse die Priorität „eindeutig bei der Ausschöpfung aller nichtmilitärischen, gewaltfreien Möglichkeiten liegen“. Dennoch, so prognostizieren die Bürgerrechtler, laufe die Forderung nach gewaltfreier Konfliktlösung bei gleichzeitiger Durchsetzung von Menschen- und Minderheitenrechten auf eine „permanente Gratwanderung“ hinaus.

Als erste grüne Antwort auf den Brief der Bürgerbewegung darf der am Wochenende vorgelegte Entwurf zu einer „friedenspolitischen Grundsatzposition“ gelten, der unter anderem von Parteisprecher Ludger Volmer, Vorstandsmitglied Angelika Beer und Jürgen Trittin getragen wird. Sie sprechen zwar ebenfalls von einem „Spanungsverhältnis“ zwischen dem Prinzip der Gewaltfreiheit und der Durchsetzung von Menschenrechten. Doch während die Bürgerrechtler im Extremfall auch gewaltsame Maßnahmen ins Auge fassen, erkennt der Resolutionsentwurf schnell, „daß es leider historische Situationen gibt, in denen in internationalen Verhältnissen kein unmittelbar wirksames zuverlässiges Mittel zur Verfügung steht, um Mord und Verbrechen rasch zu beenden“.

Auch in der Frage einer künftigen „Weltfriedenspolitik“ liegen die Positionen weit auseinander. Während das Bündnis es für notwendig erachtet, die UNO bereits heute als Institution der Konfliktschlichtung zu unterstützen, setzt der grüne Resolutionsentwurf darauf, „die Vereinten Nationen aus ihrer bisherigen Rolle als Instrument zur Durchsetzung von Großmachtinteressen zu lösen“. Das Bündnis hingegen tritt für deutsche Beteiligung an Blauhelm- Missionen und für die Aufstellung eines UN-Korps ein, während die Grünen vor der „Illusion“ warnen, eine aufgerüstete UNO könne den hochgerüsteten Nationalstaaten eine Friedensordnung aufzwingen.

Auch in bezug auf die Situation in Jugoslawien wollen die Resolutionsautoren „kurzschlüssigen Rufen“ nach militärischer Intervention nicht folgen. Sie bekennen ihre Wut und Verzweiflung „angesichts von Vergewaltigung, Folter und Mord“ – „und wünschen“ ansonsten „ein schnelles Ende des Krieges“. Keinesfalls dürften sich die Grünen jetzt zu einer Relegitimierung militärischer Lösungen drängen lassen.

„Jede Eskalationsstrategie in dieser Frage wäre von Übel“, weiß der Bündnis-Abgeordnete Wolfgang Ullmann und meint damit nicht die Risiken militärischer Intervention, sondern den Dissens zwischen den künftigen Partnern. Den Vereinigungsparteitag im Mai, so der einhellige Wunsch, soll das konfliktträchtige Thema nicht überschatten. Noch suchen moderate Grüne, wie Helmut Lippelt, nach Kompromißvarianten. Die prominenten Realpolitiker der Partei halten sich bedeckt. Der nächste Termin für die verschobene Debatte wurde am Wochenende auf den 26. März terminiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen