■ Das Schweizer Parlament wählte im dritten Anlauf doch noch eine sozialdemokratische Frau in die Regierung: Die Angst vor der Unordnung
Ruth Dreyfuss wurde gewählt, und so haben wir nun also unsere Bundesrätin – ja, in der Weiblichkeitsform. Trotzdem war ich nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses auf eine seltsame Weise deprimiert. Nein, ich hatte nicht das Gefühl einer Niederlage. Diese Wahl ist sogar so etwas wie ein „Sieg des Volkes“. Aber die Art und Weise, wie sie abgelaufen ist, die Arroganz der weiterhin amtierenden Politiker, hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack.
„Wir haben nicht wahrgenommen, wie wichtig es den Schweizern war, eine Frau im Bundesrat zu haben“, sagte ein Parlamentarier in einem Interview mit einer Rundfunkanstalt. Andere hatten in den Zeitungen davon gesprochen, daß „dem Druck der Straße nicht nachgegeben werden darf“. So also füllen unsere gewählten Vertreter ihre Funktion aus, so also begreifen sie diese. Sie verlieren sich offensichtlich in fast infantilen Haltungen, in Strategien, deren Hauptziel es ist, „das Gesicht zu wahren“, und machen Vorschläge, die darauf verweisen, welchen doch sehr eigenartigen Begriff von „direkter Demokratie“ sie haben. Sie ertragen es nicht, daß das Volk Farbe bekennt und auf die Straße geht. Sie nennen das „Unordnung“ und setzen Tränengas ein. Haben sie vergessen oder noch nicht verstanden, daß der Staat nicht sie sind, sondern „die Leute auf der Straße“, und daß sie höchstens unsere Sprecher sind? – Ruth Dreyfuss ist eine beachtenswerte Frau. Christiane Brunner auch. Beide sind kompetenter als so manche Bundesräte männlichen Geschlechts, deren Wahl sang- und klanglos über die Bühne ging. Beide stehen sie überdies in direktem Kontakt mit der „Unordnung“, die unten herrscht, mit der Wirklichkeit also, und sie nehmen diese an: die Ängste, die Hoffnungen, die Verwirrungen eines immer größeren Teils unseres Volkes, die in der hohen Politik meistens vernachläßigt, wenn nicht sogar schlicht geleugnet werden.
Ruth Dreyfuss ist gewählt, und sie wird sich zu verteidigen wissen. Aber schon zeichnet sich etwas ab, was angst macht: Sie wird sehr allein sein. Und wir, die Leute von der Straße, werden einmal mehr ziemlich machtlos sein, wenn es darum geht, eine menschliche Bresche in das zu schlagen, was unsere Verantwortlichen die „Macht“ nennen.
Wir haben eine Frau im Bundesrat, gewiß, aber das Spiel, das im Rahmen ihrer Wahl gespielt wurde, läßt für unsere Zukunft wenig Gutes erhoffen. Denn es hat in aller Deutlichkeit gezeigt, daß gewisse Männer sich weigern, auch nur einen Teil der Macht abzugeben, die sie sich anmaßen. Monique Laederach
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