: Sozis entdecken ihr "S" wieder
■ Erste Lesung des Bundestags zum Solidarpakt / Nach Hessen-Debakel zeigt Klose ungewohnten Biß
Bonn (dpa/AP) – Einen Tag vor den Verhandlungen zum Solidarpakt zwischen Kanzler Kohl, den Regierungschefs der Länder sowie der Bonner SPD-Opposition hat die SPD am Mittwoch im Bundestag klarer gegen Sozialkürzungen Stellung bezogen als bisher. In der Debatte über den Nachtragshaushalt 1993 und die weiteren Begleitgesetze zum Solidarpakt forderten Sozialdemokraten, Bündnis 90/ Grüne und die PDS/Linke Liste gestern, auf sämtliche Sozialkürzungen zu verzichten.
Die SPD verlangte außerdem Geld zum Erhalt industrieller Kerne in Ostdeutschland und die Einführung einer Ergänzungsabgabe mit Einkommensgrenzen zum 1. Juli dieses Jahres.
SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose ging den Bundeskanzler frontal an und zeigte den Biß, der einem Oppositionsführer angemessen und weit entfernt von seinem sonst gepflegten Stil des intellektuellen Grüblers war. Die GenossInnen spendeten dankbar Beifall. Schon am Vorabend hatte der Hamburger in der Fraktionssitzung die Führung demonstriert, die seit der Wahlschlappe in Hessen dringend gefordert wurde. Es scheint aber so, als würden nun gerade die Linken Opfer ihrer eigenen Kritik an der mangelnden Entschlossenheit Kloses. Denn mit dem Argument, handeln zu müssen, will die Fraktionsführung die Asylgesetze jetzt noch forcieren.
Finanzminister Theo Waigel (CSU), Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) und andere Redner der Koalition wiesen dagegen in der gestrigen Bundestagsdebatte vorgezogene Steuererhöhungen als konjunkturpolitisches „Gift“ zurück und verteidigten ihre Einsparungsideen. Man könne die Anpassung der Haushalte nicht allein durch Steuererhöhungen regeln, sagte Waigel. Sparen auch bei den Sozialleistungen sei keine „Schweinerei“, wie die schleswig-holsteinische Finanzministerin Heide Simonis gesagt hatte. Die Vereinbarungen der Ministerpräsidenten zum Solidarpakt bezeichnete er als „fragilen Kompromiß“ zu Lasten Dritter, nämlich des Bundes. Rexrodt betonte, Wirtschaft und Ausland schauten darauf, daß es jetzt zu einer Einigung komme. Andernfalls würde dem Standort Deutschlands geschadet.
Der Nachtragshaushalt 1993, mit dem unter anderem die kommunale Investitionspauschale aufgestockt werden soll, erhöht die Ausgaben unter dem Strich um gut vier Milliarden auf 440 Milliarden Mark. Die Begleitgesetze zum Konsolidierungskonzept beinhalten die umstrittenen Sparmaßnahmen, den steuerlichen Subventionsabbau sowie die Erhöhungen der Versicherung- und Vermögensteuer Mitte dieses Jahres und die Wiedereinführung eines Solidaritätszuschlags auf die Lohn- und Einkommensteuer 1995.
Der Debattenverlauf ließ erkennen, daß es bei der heute beginnenden Klausurtagung im Kanzleramt zu heftigen Auseinandersetzungen über die Anteile von Bund und Ländern an den Mitteln für den Osten kommen wird. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms sagte, die Vorschläge der Länder würden den Bund mit 100 Milliarden Mark belasten. SPD-Fraktionsvize Rudolf Dreßler antwortete, die SPD bekenne sich zu ihrer Verantwortung. Die Bundesregierung würde jedoch diejenigen zu Solidarleistungen heranziehen, die selbst der Solidarität bedürften.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen