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Ein Masterplan voller Reichstags-Splitter

■ Das zweite Reichtagskolloquium wird über den Umbau des Reichstags debattieren/ Konflikte zwischen Regierungsviertel und Reichstagsplänen

Berlin. Weitet sich das Bewußtsein zum Umbau des Reichstagsgebäudes auch auf dem Reichstagskolloquium – nach dem Siegestaumel – zur großen Umzugs- Angstnummer? Erinnern wir uns: Kaum lagen die drei Wettbewerbsentwürfe von Santiago Calatrava („Kuppel“), Norman Foster („Dach“) und Pi de Bruijn („Schüssel“) auf dem Tisch, zeichnete blankes Entsetzen die Physiognomien der politischen Protagonisten.

Mangelndes Vertrauen in die Entscheidungskraft der 670 Bonner Bauherren bewies etwa Parlamentspräsidentin Hanna Renate Laurien; wohl wissend, daß die Uhren und Fahrpläne des Umzugs von immer langsameren Kräften bewegt werden. Den heimatlosen Parlamentariern bot sie selbstlos Unterkunft im „Provisorium Preußischer Landtag“ an – in Verkennung der Tatsache, daß die Bonner nichts mehr hassen als Provisorien. Die Magie eines übermächtigen Zifferblatts beschworen danach die Senatoren Wolfgang Nagel (Bauen) und Volker Hassemer (Stadtentwicklung). Nach ihrer Meinung hätte ein schnell realisierbarer Entwurf zum Umbau des Reichstags in den Deutschen Bundestag genügt. Den Vogel schoß schließlich Uwe Lehmann-Brauns ab. „Der Reichstag ist als Bundestag so voll funktionsfähig!“ sagte der CDU-Kulturrechtsausleger. Wer wünschte sich da nicht, Christo hätte den Reichstag verpackt und einfach mitgenommen?

Auf dem heute und morgen stattfindenden Reichstagskolloquium müssen die Fehler des Berlin-Bonner-Planungsrhythmus korrigiert werden: Am Platze, wo Regierung und Parlament tagen sollen, treten die Reichstagspläne mit dem Ergebnis des parallel entschiedenen städtebaulichen Wettbewerbs „Spreebogen“ in Konflikt. Statt einer sinnvollen Reihenfolge – erst den städtebaulichen und dann den architektonischen Wettbewerb auszuloben – suchten die Politiker im Gleichlauf Zeit zu sparen. Es entstand ein Masterplan voller Splitter, kein ordentliches Puzzle aus Abbildern der Regierungsbauten, in das sich die Modelle wie in ausgestanzte Felder einfügen. Es bildete sich vielmehr eine Collage, ein Zerrbild aus heterogenem Planmaterial, das entwirrt werden muß.

Norman Fosters wunderbares „Dach“ sprengt dabei den baulichen Rahmen und weist über die geforderte Traufhöhe hinaus. Die Stützen seines Reichstags-Baldachins stehen auf dem Terrain, auf dem Axel Schultes Baumassen für das Regierungsviertel vorsieht. Die Gestaltung des ansteigenden Platzes der Republik von Foster läßt sich ebensowenig in die Maßstäblichkeiten der Spreebogen- Planungen einfügen wie das „Podest“ von Pi de Bruijn. Selbst Calatravas gläserne Kuppel übertrumpft die Chiffren des neuen Viertels zu monumental. Die Topographie erscheint wie aufgelöst. Sie müßte neu montiert werden.

Auch die Auslobung zum Umbau des Reichstags selbst wurde nicht präzise genug gefaßt; die Fehler erfordern eine Revision der Entscheidung: Der alte Bau avancierte quasi zum Gegner der Architekten. Die Ansprüche an An- und Aufbauten, Entkernung und runde Sitzordnung verhinderten ein sachliches und modernes Bauprogramm. Der dunkle Koloß ließ sich nicht ein auf eine neue Planung, kleine Umbauten oder die Herausarbeitung der „Wallot- Schichten“ und „modernen Schichten“, wie Jury-Chef Karl-Josef Schattner forderte. Der massige Klotz an der Spree stemmte sich behäbig und monumental gegen einen einfachen Umbau, der die Zeiten der Vergangenheit und Gegenwart zu einer Alt und Neu amalgierenden Bauwelt zu verschränken suchte. Die Chance, ihn als Bauwerk der Geschichte so zu belassen, wie noch DAM-Direktor Lampugnani oder Günter Behnisch forderten, wurde nicht gehört. Die große Geste, sich ein neues Haus für eine neue Zeit zu bauen, scheint vertan.

Ob die Bauten mit den „funktionalen und gestalterischen Bedürfnissen des Deutschen Bundestages in Übereinstimmung zu bringen sind“, wie Bundesbauministerin Schwaetzer hofft, muß bezweifelt werden. Die Konzepte der „drei Bilder möglicher demokratischer Repräsentation“, so Eberhard Weinbrenner, Vorsitzender der Bundes-Wettbewerbskammer, waren in sich fragwürdig, weil sie dem Altbau ein unausgefeiltes Programm der Entkernung und Entleibung entgegenzusetzen suchten (Foster, de Bruijin) oder wie Calatrava das fragwürdige Pathos bewahren wollten. Der Bauherr wird sich also zwischen drei Entwürfen und einer Haltung entscheiden müssen; nicht für eine Baucollage, sondern für einen Entwurf, der zu überarbeiten ist.

Die Versachlichung der Wettbewerbsergebnisse von der Angstnummer zur Handlungsfähigkeit tut Not, und mit ihr die Verabschiedung der feudalen Ansprüche der Parlamentarier beim Reichstagsumbau. Bauliche und politische Klarheit sind gefragt. Ein Provisorium Reichstag darf es nicht geben. Ebenso gilt es, sich freizumachen von der Bonner Anti-Umzugs-Rhetorik. Nichts weist darauf hin, außer der Nörgelei einiger Parlamentarier, daß der verabredete Beschluß zur Nutzung des Reichstags hinfällig wäre. Eine Kritik des Beschlusses fand nicht statt. Es geht beim Reichstagskolloquim um nichts weniger als um die Entscheidung für den Bau eines Plenarsaals im oder vor dem Reichstag. Es ist erforderlich, den chimärischen Zeitraum zwischen heute und der möglichen Fertigstellung 1997 mit Leben zu füllen und sich nicht von den Apparaten und Beamten verwirren zu lassen. Es gilt, Ansprüche der Schlichtheit für eine Umgestaltung zu formulieren und die Offenheit der Architektur zu fordern. Ein Vorschlag zur Versachlichung liegt auf dem Tisch: Eberhard Weinbrenner beispielsweise sieht in der Planung von Pi de Bruijn Möglichkeiten zur Realisierung, beschränkte man sich auf den kleinen Plenarsaal ohne das Podest und die Beibehaltung des Reichstags in seiner jetzigen Gestalt. Der sparsame preußische Geist zöge wieder in die Diskussion ein.

Auf der anderen Seite sollte sich die „Demokratie als Bauherr“ wieder mit Argumenten und weniger mit verbalen Aufgeregtheiten à la Laurien in Szene setzen: „Ein besonderes Kennzeichen für demokratisches Bauen ist der Planungsvorgang“, schrieb Günter Behnisch im Herbst 1989. „Er sollte dem Bürger zeigen, wie Entscheidungen gefällt werden. Allerdings auch, daß notwendige Entscheidungen gefällt werden. Demokratie darf nicht zum Synonym für Langwierigkeit, Unentschlossenheit und Verschleppung werden.“ Rolf Lautenschläger

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