piwik no script img

Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden

■ Für US-Autor Jeffrey E. Garten geht der Kampf unvermindert weiter

„In der neuen Ära tritt geduldiges Investitionskapital an die Stelle von Feuerkraft, die Entwicklung ziviler Produkte nimmt die Stelle militärischer Innovation ein, und die Eroberung ausländischer Märkte ersetzt die militärischen Garnisonen auf fremdem Boden.“ Mit diesem Zitat seines Kollegen Edward N. Luttwack markiert Jeffrey E. Garten die Reaktion US-amerikanischer Außenpolitiker auf die veränderte Weltlage am deutlichsten. Die militärische Machtwährung verliert immer mehr an Wert, doch die wirtschaftliche Power, so die erschrockene Bilanz, haben andere. Aus der Zeit des Kalten Krieges wird der Kalte Frieden – der Kampf geht weiter, nur diesmal mit anderen Mitteln und gegen andere Gegner. Das Buch „Der Kalte Frieden“ von Jeffrey E. Garten soll Warnung sein an diejenigen in den USA, die so naiv sind zu glauben, es gäbe nun so etwas wie eine Friedensdividende zu verteilen. Tatsächlich aber hat der neue Weltkrieg längst begonnen.

Das geduldige Investitionskapital haben angeblich die Deutschen, und die erfolgreichen Generäle bei der Eroberung fremder Märkte sitzen in Tokio – nicht in New York. Für die Sieger des Kalten Krieges, so Garten, sehen die kommenden Jahre ziemlich düster aus. Nach der globalen Niederlage des Sozialismus siege jetzt nicht einfach der Kapitalismus, sondern nun werde sich zeigen, welche Spielart des Kapitalismus die historisch adäquate ist. Garten ist Wallstreet- Banker, der vor seinem Sprung in die Privatwirtschaft im US-Außenministerium und als Berater von Präsident Carter im Weißen Haus tätig war. Er kennt sich im US-Kapitalismus aus und beschwört seine Landsleute eindringlich, die Zeichen der Zeit zu erkennen, wenn sie bis Ende des Jahrzehnts nicht in der zweiten Liga landen wollen.

Um dem Szenario für die 90er Jahre einen griffigen Rahmen zu geben, schreibt Garten vom Wettstreit um die weltweite Hegemonie zwischen den USA, Japan und Deutschland. Tatsächlich geht es um die Konkurrenz der drei meistentwickelten regionalen Märkte Nordamerika, Westeuropa und Ostasien, aber die Reduktion auf die Drei Großen (Nationen) macht es einfacher, quasi-militärische Kategorien auf die Wirtschaftspolitik zu übertragen.

Dennoch ist das Buch in seinem deskriptiven Teil sehr informativ. Die unterschiedlichen Funktionsweisen der japanischen (asiatischen), deutschen (nordeuropäischen) und nordamerikanischen Volkswirtschaften sind präzise beschrieben und auf ihre Differenzen analysiert worden. Man versteht endlich, warum die Gatt-Verhandlungen in der derzeit betriebenen Form nicht erfolgreich sein können und welche „Handelskriege“ uns möglicherweise ins Haus stehen. Informativ ist vor allem die Analyse der verschiedenen kapitalistischen Spielarten. Vor- und Nachteile des japanischen, deutsch-europäischen und US- amerikanischem Systems werden in verschiedenen Problembereichen untersucht – allerdings aus häufig wechselnder Perspektive. Grundthese ist, daß Japan und Deutschland ihre Volkswirtschaften immer unter strategischen Gesichtspunkten planvoll entwickelt hätten, es amerikanischen Regierungen dagegen immer gleichgültig gewesen sei, ob das Geld mit Tomatenmark oder High-Tech verdient werde.

Vor allem diesen Fehler möchte Garten korrigiert sehen, denn mit Tomatenmark kann man schlecht den Krieg der Zukunft führen. Der Autor betreibt ökonomische Analysen mit militärischen Prämissen. Statt Raketenlücken entdeckt er nun Bildungs- und Industrielücken als neues Fenster der Verwundbarkeit der USA. Die wichtigste Waffe im aufziehenden Handelskrieg heißt Besitz von Schlüsselindustrien und gezielter Einsatz protektionistischer Maßnahmen. Einer der amerikanischen Rezensenten des Buches behauptet, Garten sei repräsentativ für einen großen Teil des amerikanischen Establishments. Falls das stimmen sollte, bekommen seine Prognosen einen Hauch von Selffulfilling prophecy.

Garten beschreibt die Konsequenzen einer Politik, die völlig in den Rastern des Kalten Krieges verharrt und nur das Instrumentarium wechselt. Für die Welt wäre das fatal, denn die wirklich existentiellen Probleme der Weltwirtschaft tauchen bei Garten entweder gar nicht und nur ganz am Rande auf. Erkenntnisse der Nord-Süd-Kommission der UNO oder des Club of Rom kommen bei ihm nicht vor. Die ökologische Krise des Planeten taucht nicht auf. Der Kalte Frieden, sollte er sich so entwickeln, wie von Garten prognostiziert, wäre ein weiterer Schritt in den globalen Untergang. Jürgen Gottschlich

Jeffrey E. Garten: „Der Kalte Frieden. Amerika, Japan und Deutschland im Wettstreit um die Hegemonie“. Aus dem Englischen von Brigitte Stein. Campus 1993, 272Seiten, 48Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen