Solidarpaktgespräche in heißer Phase

Kürzungen bei Arbeitslosen sollen nach Möglichkeit vermieden werden/ Regierung beharrt auf Einfrieren der Sozialhilfe/ Münch: Interne Zusage für mehr Gelder für den Osten  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Gedämpfter Optimismus, aber auch Skepsis herrschten nach der zweiten Solidarpaktberatung in Bonn. Die große Runde aus Ministerpräsidenten und Bundesregierung hat gestern mittag ihre Solidarpaktberatungen bis zum heutigen Vormittag unterbrochen.

In der Zwischenzeit sollen drei Arbeitsgruppen den Versuch unternehmen, die strittigen Fragen zu klären. Unter Leitung von Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble wird über Steuern und soziale Gerechtigkeit, unter Leitung von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) über den Bund-Länder- Finanzausgleich beraten. Weitere Sparmöglichkeiten werden unter Vorsitz des Hamburger Bürgermeisters Voscherau (SPD) ausgelotet.

Ob Union oder SPD, ob Bundes- oder Länderregierungen, Ost oder West – allenthalben wurde von den Teilnehmern die ernsthafte Absicht zur Einigung betont. Die Themen der Arbeitsgruppen verweisen indessen darauf, daß bis dahin noch erhebliche Hürden zu nehmen sind. Für den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) war der Fortschritt von der ersten bis zur zweiten Runde, daß „jetzt alle Probleme auf dem Tisch“ liegen.

Knackpunkte sind die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern ab 1995 – dann werden die Ostländer in den Finanzausgleich integriert – und der Bedarf der Ostländer. Die SPD moniert die „soziale Schieflage“ der Vorschläge aus dem Hause Waigel und hat den Verzicht auf Kürzungen bei den Sozialleistungen zu ihrem essential erhoben. Strittig sind weiter „Einnahmeverbesserungen“ vor 1995, die die Länder und die SPD für nötig halten.

In allen Fragen gibt es zwar Bewegung, aber noch keine Durchbrüche. Während am Vormittag der Verzicht auf die Sozialkürzungen noch als wahrscheinlich galt, beurteilten SPD-Sprecherin Cornelie Sonntag und Sozialexperte Rudolf Dreßler (SPD) mittags diese Möglichkeiten wieder skeptischer. Dreßler hatte mit Bundesarbeitsminister Norbert Blüm auszurechnen versucht, wieviel Geld durch die Eindämmung von Mißbrauch eingespart werden kann. Dazu ist die SPD bereit, will dann aber auch den Mißbrauch von Steuervorteilen bei Unternehmen und Selbstständigen mit ins Visier nehmen.

Regierungssprecher Dieter Vogel erklärte, daß die gesamte Bundesregierung es vorziehen würde, die nötigen Einsparungen durch Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs zu erzielen. Vogel machte aber deutlich, daß Blüm „zeigen müsse, daß es geht“. Bei der Sozialhilfe ist die Regierung nach Vogels Worten nicht von ihren Plänen abgerückt, die Regelsätze einzufrieren.

In der Frage möglicher Steuerhöhungen vor 1995, die von den Ländern in allgemeiner Form, von der SPD für Besserverdienende gefordert werden, sieht der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder zwar „Bewegung“ auf der Regierungsseite. Nötig sind sie vor allem, um die Sozialkürzungen zu vermeiden und den Finanzbedarf der Ostländer zu decken. Wirtschaftsminister Rexrodt hat für die FDP deren Abneigung dagegen noch einmal deutlich gemacht. Das sei konjunkturpolitisches Gift. Hier gibt es aber offenbar Differenzierungen in der Bundesregierung. Kohl steht diesem Gedanken nicht so grundsätzlich abgeneigt gegenüber wie sein Koalitionspartner. Werner Münch (Sachsen-Anhalt, CDU) sagte, es gäbe eine „interne Zusage“ für mehr Mittel an den Osten für 93 und 94.

Am kompliziertesten gestalten sich die Bund-Länder-Finanzen. Aus der SPD wurde geklagt, daß Bundeskanzler Kohl die Verhandlungen schlecht vorbereitet habe. Oft fehle es schlicht an einfachen Grundlagen, müsse man sich über Zahlen verständigen. Kohl habe sich offenbar nicht hinreichend mit den Vorschlägen der Länder beschäftigt. Im übrigen bescheinigten die Unterhändler sich gegenseitig konstruktives, sachliches, um Einigung bemühtes Verhandeln.