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Parteitag der verpaßten Diskussionen

■ SPD-Chef Staffelt setzte sich auf dem Landesparteitag durch, doch wurden programmatische Auseinandersetzungen vermieden / Kritik des linken Flügels am Tiergartentunnel bleibt ohne Folgen

Berlin. Als der SPD-Landesparteitag am Samstag einen neuen Landesgeschäftsführer wählte, rüffelte Ditmar Staffelt, die Partei solle sich „nicht mit langatmigen Personaldebatten, sondern mit existentiellen Fragen beschäftigen“. Als der Straßentunnel unter dem Tiergarten erneut zur Abstimmung stand, warnte er davor, daraus „eine Glaubensfrage zu machen“. Beiden Aufforderungen trug der Parteitag mit großer Mehrheit Rechnung, weshalb der Landesvorsitzende zum Ende hin ein sichtlich zufriedenes Resümee der parteiinternen Debatten für sich ziehen konnte.

Dieser erste Parteitag nach seiner Wahl zum Landesvorsitzenden der SPD war dazu angetan, Staffelts Stand in der Partei einer Nagelprobe zu unterziehen. Im Vorfeld hatten sich bereits seine parteiinternen Kontrahenten vom linken Flügel mit einer deutlichen Kritik am Tiergartentunnel zu Wort gemeldet. Die latente Abneigung in der SPD gegen dieses Verkehrs-Großprojekt hatte neue Nahrung durch den Beschluß der eigenen Fraktion erhalten, dafür 200 Millionen Mark aus dem Landeshaushalt vorzuschießen. Staffelt begründete diesen Coup am Samstag nochmals damit, daß sich nun Bundesregierung und Daimler-Benz mit ihren Investitionen nicht mehr darauf hinausreden könnten, die Finanzierung des Tunnels sei nicht gewährleistet.

Dererlei taktische Finessen beeindruckten den Parteilinken Peter Strieder wenig: „Wer dem Tunnel zustimmt, verstößt gegen die Grundsätze der Partei.“ Wie Strieder argumentierten eine ganze Reihe von Bezirkspolitikern gegen diesen, wie der Tiergartener Baustadtrat Horst Porath ihn klassifizierte, „Rückfall in die Verkehrspolitik der siebziger Jahre“. Für den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Momper hingegen war die Ablehnung des Tunnels ein Zeichen von Rückständigkeit. Mit einer Zweidrittelmehrheit votierten die Delegierten schließlich für einen Antrag, der den Abgeordneten zwar Auflagen für ihre weitere Beschlußfassung macht, allerdings in solch schwammiger Form, daß das Ergebnis der Abstimmung als Zustimmung zu dem Tunnelprojekt gewertet wurde.

Ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit wurde Rudolf Hartung zum neuen Landesgeschäftsführer gewählt. Der von Staffelt vorgeschlagene ehemalige Juso-Bundesvorsitzende war einziger Kandidat. Dieser Umstand sowie sein „falsches Geschlecht“ und seine politische Herkunft, die ihn als Bonn- Befürworter auswies, waren für einige Delegierte Anlaß zur Kritik. Doch nicht zuletzt mit seinem Eintreten für ehrenamtliche Parteiarbeit sicherte sich Hartung die Stimmen auch der Linken. Die Delegierten verwendeten einen Großteil der Tagung auf das, was ein Beobachter „sozialdemokratische Seelenmassage“ nannte. So wurde der IG Metall ebenso bedingungslose Unterstützung bei den anstehenden Tarifauseinandersetzungen zugesichert, wie auch die SPD- Positionen zu den Solidarpakt- Verhandlungen bekräftigt wurden – obwohl die Reden bereits am gleichen Tag durch die Bonner Ereignisse überholt waren.

Hingegen versäumten die Delegierten die Chance zu der von allen Seiten immer wieder geforderten programmatischen Auseinandersetzung, als Wirtschaftssenator Norbert Meisner in einem grundsätzlichen Referat über die „Finanzlage Berlins und die soziale Gerechtigkeit“ die Haushaltsentwicklung der Stadt vorzeichnete. Angesichts steigender Schulden verwies er auf die Notwendigkeit struktureller Einsparungen. Deren Grenze setzte Meisner bei der sozialen Grundversorgung und bei den Belangen der Wirtschaft. Diesen Eckpunkten hielt Kurt Neumann die Forderung nach Erhöhung der Staatsquote entgegen, andere Vertreter der Linken sprachen sich für einen verstärkten Zugriff auf die Unternehmergewinne aus – in Meisners Augen eine „klassische SPD-Antwort“. Momper schurigelte gar die Redner, „nicht die Bundesregierung dauernd zu schlagen, daß sie Schuld hat“, sondern sich zu besinnen, daß die SPD in Berlin Regierungsverantwortung trägt. Doch die Debatte um die, so Neumann, „Interessens- und Machtfrage“ der Verteilung der staatlichen Mittel wurde abgebrochen, bevor in ihr die unterschiedlichen stadtpolitischen Positionen der Parteiflügel zum Tragen kamen. Dieter Rulff

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