: Nicht Stiller, aber immer stiller
Auch ein 1:1 in Karlsruhe hilft VfB-Trainer Daum nicht aus einer Identitätskrise, nur die Abwehr hat er sprachlich gefestigt ■ Aus Karlsruhe Peter Unfried
In einer schwachen Stunde hat Christoph Daum einmal verraten, daß er ein veritabler Freund der Literatur ist. Der von Welt, um genau zu sein. Besonders gerne steckt er seinen intellektuellen Schnauzer in Max Frischs „Stiller“, jener Geschichte vom Bildhauer, der mittels Leugnung seiner Identität auch seinem Leben und seiner Geschichte zu entfliehen hofft. Vergebens, wie Daum, der ganze Stellen aus dem Roman aufsagen kann, zum Buchende erfahren mußte.
Nun hat den Christoph zwar bei allen Sorgen noch keiner „Ich bin nicht Daum“ ächzen hören, aber unbestreitbar ist doch, daß der Künstler, der einst im Mai aus reichlich unscheinbarem Material ein Meisterwerk geformt hatte, sich seit einiger Zeit in einer nicht unerheblichen Identitätskrise befindet. Im Gegensatz zu seinem Literaturhelden, allerdings, will er nicht die Vergangenheit leugnen, sondern die Gegenwart.
Drum hat er auch den einen, kleinen, glücklichen Punkt in Karlsruhe eilig als Wende zum Besseren erklärt, die zudem hauptsächlich auf des Meistertrainers Schachzug beruht habe. Jenen nämlich, mit dem getreuen Buchwald statt des Buhmannes Dubajic auf dem Posten des letzten Mannes, „ein Moment, das die Abwehr auch vom Sprachlichen her“ zusammengehalten habe, ins Spiel gebracht zu haben.
Schließlich, so seine brandneue Erkenntnis, sei „die Abwehr schon ein wichtiger Mannschaftsteil“, dort müsse geredet werden, und wenn eine darin noch ungeübte lediglich einen Treffer fange, könne der Saldo mit etwas Probieren durchaus auf Null heruntergeschraubt werden. Wie tausendmal zuvor, machte er dabei ganz große Augen. Doch die Sehwerkzeuge wirken neuerdings nur noch gerötet und haben ihr hypnotisierendes Flackern irgendwo unterwegs verloren.
Seit Wochen geben seine Kicker Ehrenerklärungen für ihn ab, versprechen nun aber, der Rhetorik auch Tore folgen zu lassen. Im Wildpark war einmal mehr zu ahnen, wo es beim nach wie vor amtierenden Meister fehlt: überall.
Winnie Schäfer wollte sich rotärgern über den verlorenen Punkt gegen diesen „relativ schwachen Gegner“. Mit selbigem Attest hatte im übrigen Leverkusens Saftig vor Wochenfrist ein 3:0 im Neckarstadtion abgewertet. Es war so: Von Gaudino, der vor lauter Mühe mit dem Ball zu nicht mehr viel kam, über Frontzeck, der seine Vorstöße über links eingestellt hat, obwohl sie doch wichtiger Bestandteil seiner Stellenbeschreibung sind, bis zu Buck, dessen Trick mittlerweile jeder kennt, hatte ein jeder heftig mit sich selbst zu tun. Den Ball und die Verantwortung schoben die Schwaben folglich ihrem Leithammel von Managements Gnaden zu. Doch was sollte Guido damit?
Und dies alles gegen einen KSC, der längst keinem mehr Angst einjagen muß. Zumindest nicht, wenn man den genialen Kirjakov versorgt hat. Doch, oh weh, wie das so ist: Dem rehabilitierten Schäfer sprang der Ball erst ans Knie, dann an den Schädel, von dort auf Kikis Fuß – und ab in den Torwinkel.
Insgesamt, befand Wolfgang Rolff in etwa treffend, habe der KSC 80 Minuten sehr gut gespielt, „unheimlich viel Druck gemacht, Torchancen gehabt“, aber eben: „Kein Tor mehr gemacht“. Daß dies nun ausgerechnet und trotz eines Wahrscheinlichkeitsquotienten von annähernd Null allein vor Kahn der VfBler Buck schaffte, war Rolff eine „Quittung“.
Und Daum eine Fügung. Alleine war er auf der Bank gekauert, längst verlassen vom Manager Hoeneß und Co Köstner, die irgendwo mit dem Schicksal haderten. Am Ende sind sie nun doch alle zurückgekehrt. Auch die Lebensgeister. „Wenn wir jetzt“, hat der VfB-Trainer nach einer kurzen Atempause flugs gesagt, „jeden Spieltag einen Platz hochklettern, wer weiß, wo wir dann herauskommen.“ Mehr als ein müdes Lächeln in aller Höflichkeit hat er freilich für diesen Spruch nicht geerntet. Vor einiger Zeit hätte man ihm selbst geglaubt, wenn er behauptet hätte, zehn Punkte auf die Bayern seien kein Problem.
Nun weiß Christoph Daum selbst natürlich am besten, daß nichts mehr ist, wie es war, seit Sammer ging und Simanic kam. Laut sagen darf er das nicht, und es sich eingestehen eben auch nicht. Der Meister der Psychologie hat schließlich nicht nur seinen Spielern, sondern auch sich das Gütesiegel so lange eingeredet, bis er daran glaubte. „Ich darf nicht zuviel erzählen“, hat er letzte Woche selbstkritisch vermerkt, „sonst hört mir am Ende keiner mehr zu.“ Nicht einmal mehr er selbst.
Im Südfunkfernsehen hat ein Schnauzbart am Samstag abend versucht, der Klientel mittels einiger gequälter Vorsätze und einem betont-beruhigendem Nicken zu suggerieren, nun werde aber alles wieder gut. Wer war das? Immer noch Daum? Oder schon nicht mehr? Was man weiß: Der Mann ist nicht Stiller, aber immer stiller geworden in diesen Tagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen