: Ein kleines Spiel des Kalten Krieges
Nordkorea erzwingt mit seinem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag neue Verhandlungen/ Seoul alarmiert sein Militär, hält aber zunächst an der Entspannungspolitik fest ■ Aus Tokio Georg Blume
Aus westlicher Sicht mutet es wie eine kleine Wiederholung des Kalten Krieges an: Vertragsbrüche, Spionage und Manöver rund um die Atomkriegsdrohung kennzeichnen das Mächte-Patt auf der koreanischen Halbinsel. Die Koreaner lassen sich bei ihrem Rückfall in alte Zeiten nichts neues einfallen: Als „Atomkriegsübung“ bezeichnete der nordkoreanische Außenminister Kim Yong Nam am späten Freitag die gegenwärtigen Manöver südkoreanischer und amerikanischer Truppen. Damit begründete er gegenüber dem Weltsicherheitsrat in New York den Austritt seines Landes aus dem Atomwaffensperrvertrag. Den Südkoreanern fiel im Gegenzug nichts Besseres ein, als ihre 650.000 Soldaten am Wochenende in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Da es in Korea seit dem Ende des Bürgerkriegs 1953 keinen Friedensvertrag gibt, herrscht für die Militärs auf beiden Seiten praktisch immer noch Krieg. Doch wen kümmert das noch?
Für die übrige Welt, die sich längst mit anderen Problemen beschäftigt, wecken die koreanischen Drohgebärden bestenfalls schlechte Erinnerungen. Der britische Botschafter im Weltsicherheitsrat, Sir David Hannay, bezeichnete das nordkoreanische Verhalten zwar als „sehr ernste Angelegenheit sowohl hinsichtlich der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen als auch für den Frieden in Ostasien“. Doch in Wirklichkeit fürchtet die westliche Diplomatie, sich wegen des kleinen Nordkorea wieder auf ein Endlosspiel des Kalten Krieges einlassen zu müssen.
Genau darin erkennt der 80jährige Diktator Kim Il Sung seine Chance. Nicht als Schritt in die Isolation, sondern als diplomatische Offensive im alten Stil versteht Nordkorea seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Tatsächlich hat der von vielen bereits vergessene Diktator das erste Mal einen Trumpf in der Hand. Um die angeschlagene Glaubwürdigkeit des Atomwaffensperrvertrags zu bewahren, müssen sich die Vereinten Nationen plötzlich mit allen Mitteln um den Wiederbeitritt Nordkoreas bemühen. Verdient Kim überhaupt soviel Aufmerksamkeit?
Sein Versuch, die Welt eines Tages als Geisel zu nehmen, begann bereits in den frühen sechziger Jahren. Nach der Kuba-Krise verlor Kim sein Vertrauen in die sowjetische Schutzmacht. Er entwarf deshalb die nordkoreanische Unabhängigkeitsdoktrin und startete ein atomares Forschungsprogramm. Dessen sichtbare Ergebnisse sind bis heute zwei kleine Atomreaktoren und ein dritter, größerer 50-Megawatt-Reaktor, der sich im Bau befindet. Über eine nordkoreanische Wiederaufbereitungsanlage gibt es nur Gerüchte.
Die Gretchenfrage lautet heute, ob Nordkorea aus dem Reaktorbetrieb genug waffentaugliches Plutonium zum Bau einer Atombombe gewonnen hat. Die CIA hält das zwar für eine „reale Möglichkeit“, schließt aber weitere Festlegungen aus. In Japan schätzten Regierungsbeamte den nordkoreanischen Plutoniumvorrat auf 16 bis 24 Kilogramm – genug für zwei bis drei Atombomben. Da Nordkorea jeglichen Plutonium- Besitz bestreitet und weitere Inspektionen der Wiener Atombehörde nun ausgeschlossen sind, wird es vorerst bei diesen Spekulationen bleiben.
Doch der Kalte Krieg verbietet Verharmlosungen. Nagasaki und Hiroshima befinden sich im Zielradius der zukünftigen nordkoreanischen Trägerraketen. Südkorea und seine Verbündeten haben deshalb kaum eine andere Wahl, als weiter mit Kim Il Sung zu verhandeln. Erst am Mittwoch hatte die Regierung in Seoul entschieden, südkoreanischen Geschäftsleuten die bisher verweigerte Reise in den Norden zu gestatten. Trotz des hitzigen Atomstreits hält der neue südkoreanische Präsident Kim Young Sam bisher an einer Entspannungspolitik nach deutschem Modell fest. Dabei will er kleinen Schritten den Vorzug vor großen Manövern geben.
Das ist weniger hoffnungslos, als es auf den ersten Blick erscheint: Langfristig wird Nordkorea ohne wirtschaftliche Hilfe nicht auskommen. Gleichzeitig signalisiert die südkoreanische Politik kein Interesse an einer schnellen Vereinigung. Nur beides zusammen – Hilfe und Überlebensgarantie – kann Kim in seinem atomaren Alleingang stoppen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen