: Hoyerswerdaer Polizei sah nur "ruhestörenden Lärm"
■ Staatsanwalt ermittelt gegen Polizisten/ Verdacht auf Strafvereitelung * Trauer und Protest nach Tod eines Türken
Dresden (taz) – Drei Wochen nach dem Skinhead-Überfall auf den Jugendklub „Nachtasyl“ im sächsischen Hoyerswerda hat die Bautzner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den damals Wachhabenden des Polizeireviers Hoyerswerda eingeleitet.
Dem Polizisten werde fahrlässige Tötung und Strafvereitelung im Amt vorgeworfen, teilte der Leitende Oberstaatsanwalt, Herbert Mayer, mit. Vernehmungen hätten ergeben, daß der Diensthabende in der Nacht vom 19. zum 20. Februar „auf fernmündlich eingehende Notrufe unzureichend reagierte und zwei Streifenwagen, die er zum Tatort in Marsch setzte, unzulänglich über die Lage in Kenntnis setzte“.
Er habe eine Polizeistreife „wegen ruhestörendem Lärm“ zum Klub geschickt, obwohl ihm zuvor eine „Schlägerei“ gemeldet worden war. Während die Polizisten in der Umgebung des Klubs nach flüchtenden Tätern suchten, habe der zweiundzwanzigjährige Mike Z. unter einem umgekippten Kleintransporter begraben gelegen. Erst nach einer halben Stunde war das Opfer aus seiner Notlage befreit worden. Eine knappe Woche nach dem Anschlag war Mike Z. an den Folgen eines Blutstaus im Gehirn verstorben.
Die Frage, ob der Heavy-metal- Musiker noch hätte gerettet werden können, wenn die Streifenpolizisten zutreffend über die Lage informiert gewesen wären, soll in weiteren Ermittlungen geklärt werden, kündigte Mayer an.
Wie die Polizeidirektion Bautzen mitteilt, halte sich „eine sehr große Anzahl Polizisten“ in Hoyerswerda und den umliegenden Landkreisen in erhöhter Bereitschaft, um auf Eskalation der Gewalt vorbereitet zu sein.
Anlaß für eine erneute Zuspitzung könnte die bevorstehende Beisetzung des Rechtsradikalen Peter A. sein, der in Untersuchungshaft Selbstmord verübt hatte. Wie die taz berichtete, sind nach dem Überfall auf den Jugendklub sieben mutmaßliche Rechtsradikale in Haft genommen worden. Ihnen wird Mord, versuchter Totschlag und schwere Körperverletzung vorgeworfen. dek
Trauer und Protest nach Tod eines Türken
Mülheim/Ruhr (dpa/taz) – Mit einer Trauerfeier, Kundgebung und einem Demonstrationszug haben am Samstag in Mülheim/Ruhr rund 2.000 Aus- und Inländer gegen Fremdenhaß und Gewalt demonstriert. Anlaß war der Tod eines 56jährigen türkischen Rentners, der am vergangenen Mittwoch in Mülheim nach einem Überfall von zwei jungen Rechtsradikalen und einer „Scheinhinrichtung“ an Herzversagen gestorben war. Der türkische Botschafter in Bonn, Onur Öymen, sprach von einem „Mißbrauch der Menschenrechte“. Die „sehr sensiblen“ deutschen Menschenrechtsorganisationen sollten Mißbrauch nicht nur in anderen Ländern suchen.
Die beiden Täter, zwei zur Tatzeit offenbar angetrunkene 21jährige Mülheimer, die nach Polizeiangaben den rechtsradikalen „Republikanern“ angehören, sitzen in Untersuchungshaft. Sie hatten den Türken beschimpft, zu Boden geworfen und eine Gaspistole aus nächster Nähe mehrmals auf ihn abgedrückt. Zwar hatte sich kein Schuß gelöst, doch der Schock war für den Überfallenen so groß, daß er einen Herzinfarkt erlitt. Der Türke, der seit 23 Jahren in Deutschland lebte, hinterläßt Frau und zwei erwachsene Töchter.
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