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Gegen den Benutzerzwang

Brauchbares Design ohne Grenzen, improvisiert und genau. Es gibt nichts, was er nicht gestaltet: Richard Sapper im Kölner „Museum für angewandte Kunst“  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

Obwohl sie eher der Luxus-Version eines Modellbaukrans ähnelt, gilt sie als der Inbegriff des (postmodernen) Beleuchtungsgeräts: Richard Sappers Schreibtischlampe ,Tizio'. An ihr erweist sich, daß gute Designer immer Egoisten sind – und zwar ganz redliche: die besten Entwürfe entstanden oftmals für den eigenen Gebrauch. Der heute 61jährige Sapper, ein gebürtiger Münchner, hat ,die Tizio' bereits 1972 entworfen, als konzentrierte, möglichst unauffällige und variable Lichtquelle für das eigene Chaos auf dem Arbeitstisch.

Angefangen hat Sapper – nach einem Studium der Betriebswirtschaft, das ihn nie interessierte – in der Autoindustrie, für die er Karosserien entwarf. Und der eine oder andere erinnert sich noch an seinen Außenspiegel für den Mercedes 300 SL, einen stromlinienförmigen Kegel, den man als Schüler am liebsten abgeschraubt und als Handschmeichler in die Tasche gesteckt hätte.

Er ging nach Italien, faßte schnell Fuß in der dortigen Design- Szene und lernte schließlich Marco Zanuso kennen, mit dem er immer wieder zusammenarbeitete. Seine italienische Verbindung hat er bis heute behalten, und viele seiner Entwürfe werden von dortigen Herstellern wie Artemide, Alessi oder Brionvega umgesetzt und in Serie produziert.

Diese Schule war wichtig. Denn Sapper verkörpert wie kaum ein anderer eine Mischung aus italienischem und deutschem Design. Funktionalität und Spiel charakterisieren seine Entwürfe gleichermaßen. Und die Traditionen von Werkbund, Bauhaus und Ulmer Hochschule für Gestaltung sind ebensowenig zu leugnen wie die Auseinandersetzung mit der italienischen Avantgarde bis hin zu „Memphis“ und „Anti-Design“. Inzwischen tänzelt er mit seinem Spielbein zwischen der alten und der neuen Welt, zwischen Europa und Amerika.

Er improvisiert gerne – und er ist überaus genau. Ohne ständiges Büro und ohne feste Mitarbeiter zeichnet er überall, im Flugzeug, im Restaurant, sogar beim Skifahren: in den Schnee. Darüber hinaus gibt ihm die Unabhängigkeit von einem großen Stab von Leuten die Möglichkeit, nur solche Aufträge anzunehmen, die ihn wirklich interessieren. Was bei all dem erstaunt, ist seine Vielseitigkeit. Es gibt nichts, was Sapper nicht gestaltet.

Transportable Wohneinheiten für den Katastropheneinsatz, einen Passagierdampfer, dessen Konstruktion den Ölbohrinseln abgeguckt ist, einen Autobus mit Einstellmöglichkeit für Fahrräder, ein preisgekröntes Baukastensystem für Bulldozer-Achsen, variable PCs und Industrie-Nähmaschinen, einen Messerschleifer für den Hausgebrauch, einen Klapproller, eine Stoppuhr, einen Fön, einen Wasserkessel.

Den Wasserkessel – mit der melodischen Flöte und dem spiegelblanken, runden Bauch. Neben einem Sinn für den Spaß gibt es mitunter Entwürfe von einer gewissen unterschwelligen Ironie oder schriller Komik. Z.B. der Regenschutzschirm für Fahrräder, der eher einem vor den Lenker gespannten, fossilen Flugapparat aus Zellophan ähnelt: ein richtiger Traum zum Abheben für den pedalophilen Don Quichotte. Oder die Spaghetti-Gabel, deren Mechanik vom Korkenzieher übernommen ist: für den beschäftigten Einhanddreher vor der Glotze. Dazu passend: das T-Shirt mit Klecker-Motiv.

Manchmal freilich mißlingt der Witz. Und dann war er, wie im Falle eines realexistierenden Telefonhäuschens für die ,Telekom', wohl eher unfreiwilliger Natur. In dieser Butzenscheibenversion des Münzfernsprechers spiegelt sich das Medien-Bewußtsein eines deutschen Kleingärtners: die Kommunikation im Zeitalter der Beschaulichkeit.

Im allgemeinen zeichnen sich Sappers Gegenstände jedoch durch eine ebenso wohltuende wie wohldurchdachte Wandelbarkeit aus. Und dies oft gar nicht so sehr im Hinblick auf unterschiedliche Funktionen, sondern vielmehr als Metamorphose im Übergang vom Gebrauch zum Nicht-Gebrauch. Der Klapp-Armlehnsessel „Nena“ (1984) hängt als flaches Lederkissen an der Wand und ist in ,Ruheposition' als Sitzmöbel kaum zu identifizieren. Ebensowenig wie das aus zwei Kuben bestehende Transistorradio „TS 502“ (1963). Über zwei Scharniere sind Radioteil und Lautsprechereinheit miteinander verbunden, so daß sie zusammengeklappt werden können. Das hält sie staubfrei und macht sie stoßsicher beim Herumtragen.

Wahrscheinlich gehört Sapper zu den ganz wenigen Designern, die sich allen Ernstes überlegen, was mit ihren Dingen geschieht, wenn sie nicht benutzt werden. Das mag mit einer gewissen Bescheidenheit zusammenhängen, die sich auch in den Entwürfen selbst äußert. Auf den ersten Blick verfügt Sapper über keine eigene Handschrift; vielmehr entscheidet die Funktion, die Häufigkeit des Gebrauchs und die Frage, wie die Dinge in der Hand liegen, ihre Benutzerfreundlichkeit.

Die Schau im Kölner „Museum für angewandte Kunst“ präsentiert sich waghalsig und humorvoll zwischen Flohmarkt-Atmosphäre und Produkt-Palette. Auf drei von der Decke hängenden, tablettartigen Gebilden sind die kleineren Objekte angebracht. Holzmodelle, Zeichnungen und Vorentwürfe illustrieren den Entstehungsprozeß. Da gibt es alles, vom Besteck bis zum Küchenwecker, vom Transistor-Radio bis zum Notebook. In einem zweiten Raum sind die Möbel zu sehen, die wenigen Stücke wirken in dieser Halle jedoch etwas verloren, und der „Rumpus- Room“ (1986), eine multimediale Freizeit- und Hobbyeinheit, die auf einer Bühne plaziert wurde, etwas überinszeniert.

Insgesamt setzt das Kölner Museum für angewandte Kunst, das in den ehemaligen Räumen des „Wallraff-Richartz-Museums“ untergebracht ist, nicht nur eine Tradition fort, die mit Ausstellungen zu Wilhelm Wagenfeld, Charles und Ray Eames oder Dieter Rams begann. Man setzt auch Zeichen: für ein – im doppelten Wortsinn – mehr als nur brauchbares Industriedesign.

Richard Sapper – Design. Museum für angewandte Kunst, Köln, 15.1.–18.4.93. Danach im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, 7.5.– 27.6.93. Katalog 35DM.

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