■ Die Diskussion um den Solidarpakt wird uns weiter nerven
: Flickenteppich

Daß man sich bei den Verhandlungen darauf einigen konnte, den Länderfinanzausgleich ab 1995 unter Dach und Fach zu bringen, ist sicherlich ein Erfolg für den Föderalismus. Auch sind die geplanten Einschnitte im Sozialsystem verhindert worden. Und man hat sich auf den Solidaritätszuschlag zum 1.1.1995 – ohne zeitliche Befristung – geeinigt. Stellt man diese drei Schwerpunkte beim Solidarpakt jedoch allen Herausforderungen an die Finanzpolitik gegenüber, dann muß man allerdings sagen, daß die verbreitete Euphorie über die Einigung nur die halbe Wahrheit wiedergibt.

Ausgeklammert wurde nicht nur der wichtige Bereich der Sanierung der Bundes- und Reichsbahn mit jährlich zirka acht Milliarden DM Finanzierungsbedarf. Auch bleiben die Probleme der Finanzierung des Aufbaus Ost für 1994 und 1995 weitgehend ungeklärt. Denn auch der Solidaritätszuschlag ab 1995 wird keine müde Mark für die neuen Länder bewegen. Er dient ausschließlich der Finanzierung des Kapitaldienstes für die Schulden der Treuhandanstalt (250 Milliarden DM) und der Abwicklung der DDR, vor allem infolge der Währungsumstellung. Zudem sind viele Aufgaben finanziell in keinster Weise abgesichert. Der Bonner Kompromiß basiert also auf einer geschickten Ausgrenzung von Problemen einerseits. Andererseits muß letztlich die Staatsverschuldung als Lückenbüßer zum Stopfen der Finanzlöcher herhalten. Mit Sicherheit wird die Steuerdiskussion weitergehen. Ostdeutschland braucht mehr Geld, will man den industriellen Zusammenbruch stoppen. Die Tabuisierung schneller und weiterer Abgabenerhöhungen wird wie ein Luftballon platzen. Und es bleibt beim verbissenen Streit um die Erhöhung der Mineralölsteuer und/oder die Einführung der Vignette.

Der Erfolg des Bonner Kompromisses ist also kurzfristiger Natur. Das gesamte Instrumentarium der Abgaben ist nicht diskutiert, geschweige denn genutzt worden. Der Solidarpakt ist also ein Teppich mit großen Flicken. Die Einkommensgrenzen beim Solidarzuschlag müssen noch festgelegt werden. Wer wird bei der Fixierung der Höhe der Freigrenzen für die Lohnsteuerzahler umfallen? Den Mut, den selbst die Arbeitgeberverbände demonstrieren, hatten die Sozialpaktler nicht: Nicht einmal angesprochen wurde die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe von west- an ostdeutsche Unternehmen. Aber nicht nur bei der Finanzierung wurde tabuisiert. Ein industriepolitisches Konzept für den Aufbau Ostdeutschlands – etwa den Umbau der Treuhandanstalt in Industrie-Holdings – ist nicht einmal in Konturen sichtbar. Deshalb wird uns die Diskussion zu Beginn dieser Woche bereits wieder nerven. Rudolf Hickel

Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Bremen