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Die Würde der Artischocke ist unantastbar Von Andrea Böhm

Es war der Kampf Davids gegen Goliath, ausgelöst mitten im Endspiel um die US-Football-Krone, den Super Bowl, zwischen den Dallas Cowboys und den Buffalo Bills. Allerdings nicht auf dem Spielfeld, sondern in der Werbepause, in der die meisten TV-Zuschauer erst recht gebannt vor dem Bildschirm sitzen. Schließlich hatten Reebok, Budweiser, Nike und wer sonst noch in der Commercial-Szene Maßstäbe gesetzt, neue Spots angekündigt – ein Kulturereignis vom Rang einer Woody-Allen-Premiere. Um sich im Zuge des pasteurisierten Multikulturalismus à la „United Colors of Benetton“ möglichst alle Zielgruppen zu Freunden und Käufern zu machen, sind Sport- und Fastfoodkonzerne inzwischen dazu übergegangen, nur noch ganz kleine Randgruppen zu diskriminieren – in der Hoffnung, daß die weder einen Boykott noch größere Umsatzeinbußen herbeiführen können. Das dachte sich auch Pepsi Co, in deren brandneuem Spot ein hochnäsig dreinblickender, Artischocken pulender Chefkoch auftritt. Dazu wurde folgender Text eingeblendet: „Vielleicht interessieren Sie sich irgendwann für so etwas... Bis dahin: Be young: Have fun. Drink Pepsi.“ Da war der Chefkoch längst von der Bildfläche verschwunden, und von der üblichen debil grinsenden Cola-Clique abgelöst worden. Nun hatte der Fastfood-Goliath nicht mit der Selbstachtung und dem Stolz des Gemüse-Davids gerechnet: Das „Artichoke Advisory Board“, Interessenverband der Artischockenfarmer, machte in einem Brief an Pepsi Co seinem Ärger über die artischockenverachtende Werbung Luft. Dreißig Jahre lang habe man Anstrengungen unternommen, dem Verbraucher klarzumachen, daß der Verzehr der Artischocke trotz ihrer für den menschlichen Mund so unzugänglichen Struktur „Spaß macht“. Und jetzt sei alles hin. Nun möchte man meinen, daß sich aus den Zielgruppen der Pepsi-Trinker und Artischocken-Esser keine allzu große Schnittmenge ergibt. Ergo könnte der Artischocken-Lobby die Pepsi-Werbung eigentlich egal sein – frei nach dem Motto: Wer dieses Zeug trinkt, verdient unser Gemüse nicht. Doch ein solcher Ansatz wäre in den USA nicht nur arrogant, sondern auch geschäftsschädigend. In einem Land, in dem Hamburger unter die Rubrik Lebensmittel fallen, Winzer alkoholfreien Wein herstellen und man beim Fondue Marshmellows in geschmolzene Schokolade taucht – in solch einem Land werden auch Artischocken mit Pepsi serviert. Weshalb es der Artischocken-Lobby also nicht egal sein kann, wenn Pepsi artischockenverachtende Werbung zeigt.

Der Protest hat jedenfalls Wirkung gezeigt. Goliath hat sich bei David für die Mißachtung seines Gemüses entschuldigt. Damit nicht genug: Der Cola-Produzent hat jetzt in San Francisco eine „Pepsi-Artischocken-Zucht“ unter Obhut des städtischen Gärtnerverbandes eröffnet. Die Pepsi- Artischocken werden dann einem Zentrum für Obdachlose gespendet. Mit einer Dose Cola und zur Krönung einem „We shall overcome“ auf den Lippen. Der Werbespot soll zurückgezogen werden – und Pepsi Co ist wieder ins Reich der politisch Korrekten zurückgekehrt. Merke: Die Würde der Artischocke ist unantastbar.

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