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Miniatur einer Zerstörung

■ Der Regisseur Otar Iosseliani ("Jagd auf Schmetterlinge") erhält heute den Berliner Kunstpreis für sein polyphones Kino

Am liebsten hätte Otar Iosseliani sein Kino gar nicht erklärt, denn es erzählt keine Geschichten; es ist Musik. Seine filmischen Kompositionen – ein Chaos aus Bildern, Geräuschen und Melodien – verlangen Augen, die hören können.

Was wird sichtbar und hörbar in diesem polyphonen Kino? In „Die Günstlinge des Mondes“ (der erste Film außerhalb Georgiens, 1984 in Paris gedreht) ist für einen Augenblick der Igor Strawinsky-Brunnen von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle zu sehen: Die in einem rechteckigen Bassin installierten bunten Figuren vollführen merkwürdige Kreiselbewegungen in verschiedenen Geschwindigkeiten, ein chaotisches Durcheinander von Farben, Formen und Bewegung innerhalb dessen doch jedes einzelne Element isoliert und an seinem festen Platz bleibt.

Dieses „Ballett“ hat exemplarischen Charakter: Auch der Film ist ein zufälliges Zusammenspiel von Ordnung und Unordnung mittels Bewegung; ein Zusammenhang ist nur noch über die Isolation des Einzelnen herstellbar. Ein unbestimmtes und rastloses Begehren treibt Menschen und Dinge in immer neuen Konstellationen zusammen, alles befindet sich in permanenter Zirkulation. Das erlaubt nur flüchtige Berührungen und verhindert ein Wissen um Geschichte und die Zerbrechlichkeit menschlicher und kultureller Beziehungen.

Oft markiert Iosseliani schon in der Exposition seiner Filme einen kulturellen Bruch, die Miniatur einer Zerstörung. In den „Günstlingen“ zerbricht ein handgefertigtes Porzellangedeck aus dem 18.Jahrhundert in unzählige Teile, noch bevor es neu aus den Werkstätten einer höfischen Manufaktur seine Reise durch die Zeit und die Hände vieler Menschen antritt. „Und es ward Licht“ (1989) nimmt in den ersten Einstellungen durch den Abtransport von Baumstämmen die Zerstörung des Waldes als Lebensraum vorweg; und „Blätterfall“ (1966) zitiert in einem Reigen tableauhafter Bilder die traditionelle Weinherstellung in einer vorindustriellen Gesellschaft und die damit verbundenen Rituale, um dann das Verschwinden dieser Lebensform unter veränderten gesellschaftspolitischen Bedingungen sichtbar zu machen.

In der Toskana, im Baskenland kann Iosseliani noch Enklaven einer solchen Kultur für seine (Dokumentar-)Filme retten: eine lebensfrohe mediterrane Welt, in der religiöse und alltägliche Rituale ineinandergreifen. Doch auch hier zeigen sich Risse, Deformationen, gibt es eine Zunahme von Unordnung. Alles unterliegt dem Zwang einer entropischen Bewegung.

Die Wahrnehmung der Dinge in der Zeit vollzieht sich nicht ohne Veränderung der Wahrnehmung selbst. Diese Veränderung wird bei Iosseliani durchgängig thematisiert. In den frühen Filmen stellt die Kamera noch Blickbeziehungen zwischen den Personen her. Obwohl „Pastorale“ (1976) auf nicht behebbaren Unterschieden, der Entfremdung zwischen Städtern und Landbewohnern beharrt, gibt es doch die Berührung und den Beginn eines Austausches durch den Blick. In den „Günstlingen“ richtet sich dieser Blick ins Leere. Es wirkt eine zentrifugale Kraft, die Menschen und Dinge aus dem Bild und jedem sinnvollen Zusammenhang treibt.

„Es war einmal eine Singdrossel“ (1970) präsentiert einen Agenten der filmischen Wahrnehmung selbst: Gia bewegt sich außerhalb einer streng linearen Zeit und außerhalb einer konventionellen Verschaltung optischer und akustischer Wahrnehmung. Er demonstriert eine Vorliebe für das parzellierte und reine Sehen – daher seine Vorliebe für optische Apparaturen, die seinen suchenden Blick zu verlängern scheinen. Was vor der Linse einer Kamera, eines Fernrohrs oder Mikroskops sichtbar wird, entzieht sich einer alltäglichen Wahrnehmung. Das korrespondiert mit den Schwierigkeiten dieses Films, seinen „Helden“ visuell in räumliche und zeitliche Zusammenhänge zu verankern. Die Absage an eine homogene Zeit, einen homogenen Raum im Kino ermöglicht Formen temporaler und topologischer Schichtung. In Iosselianis Filmen findet sich die Gegenwart einem fortwährenden Insistieren des Vergangenen und Zukünftigen ausgesetzt. Und doch scheint ein Zurückblicken, eine wahre Erinnerung nicht möglich. Die Wiederkehr des 19.Jahrhunderts in den schwarzweißen Tableaux vivants der „Günstlinge des Mondes“, die zahllosen Photographien und Gemälde einer entfernten Zeit bewirken durch ihre Eingerahmtheit und Statik einen Ausschluß des Betrachters, die Zurückweisung eines Blicks, der versucht, diese festgefügte kompositorische Anordnung zeitlich zu aktualisieren.

Besonders Iosselianis neuester Film, „Jagd auf Schmetterlinge“ (1992), hat ihm den Vorwurf einer konservativen und nostalgischen Affirmation des Vergangenen eingetragen. Die Anhäufung jener Souvenirs einer früheren Lebensart, ihre Klischeehaftigkeit beweisen jedoch gerade das Versagen einer kollektiven Erinnerungsleistung. Das ist kein reaktionärer Kulturpessimismus, sondern zeigt, daß Film die Dinge in Auflösung zeigt und dem Stillstand sich verweigert. Denn „Film ist“, so Iosseliani, „eine Idee in Bewegung auf den Prüfstand bringen“.

Heute wird ihm in der Berliner Akademie der Künste der mit 30.000 DM dotierte Kunstpreis Berlin verliehen. Susanne Schmitt

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