: Super-GAU in Frankreich geplant
Forscher wollen Kernschmelze in einem Mini-Reaktor auslösen/ Sie sind „ziemlich sicher, daß nichts passiert“/ Bewiesen werden soll: AKW-Sicherheitsauflagen sind schon heute zu hoch ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Im Juni wollen Wissenschaftler in Frankreich absichtlich einen GAU herbeiführen. Bei dem Versuch sollen zum ersten Mal auch alle Sicherheitssysteme versagen. Der Modellreaktor ist 5.000mal kleiner als ein normaler Druckwasserreaktor und steht im Forschungsmeiler Phebus, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Marseille. „Wir wollen messen, wie sich bei einem schweren Störfall die Spaltprodukte chemisch und physikalisch verhalten“, erläutert Peter von der Hardt vom EG-Institut für Sicherheitstechnologie Ispra das Vorhaben.
Vor allem der sogenannte Quellenterm, also Strahlung und Material, das nach einer Kernschmelze in die Atmosphäre gelangt, interessiert die rund 20 Wissenschaftler, die den GAU auswerten sollen. Noch fehlt die letzte Genehmigung für den seit 1988 geplanten Versuch. Die Forscher hoffen aber, sie noch im April von dem zuständigen französischen Direktorat für die Sicherheit nuklearer Anlagen (DSIN) zu bekommen. Dort sitzen Vertreter des Umweltministeriums, der Industrie und Forschung beisammen. „Die Basisgenehmigung haben wir schon seit 1990“, sagt von der Hardt.
Ein etwa ein Meter langes Bündel von 20 Brennstäben aus Urandioxid soll bei dem GAU-Versuch mit Neutronen beschossen werden, um eine Überhitzung von über 2.000 Grad zu erreichen. Dieser Teil des Experiments simuliert den Ausfall der Kühlwasserzufuhr. „Bei einer so kleinen Menge ist eine Kettenreaktion ausgeschlossen“, so von der Hardt. Er glaubt, daß das Experiment bei einer Unterbrechung des Neutronenbeschusses jederzeit zu stoppen ist.
Die bei der Verschmelzung der Brennstäbe verdampfenden Spaltprodukte werden nach der Planung zusammen mit dem kondensierten Restkühlwasser eine Wolke bilden. Jetzt fällt auch der erste Kühlkreislauf aus: Der heiße, radioaktive Dampf gelangt in die Rohre. In der Simulation sind aber auch sie defekt, so daß schließlich die Strahlung in die Umwelt austritt. „Wir haben einen zehn Kubikmeter großen Tank um den Versuchsmeiler gebaut“, versucht van der Hardt zu beruhigen. Außerdem gäbe es bei Phebus noch drei weitere Sperren gegenüber der Außenwelt: einen Rohrkreislauf, einen Stahlbehälter und das Betongebäude selbst, das mit Spezialfiltern ausgerüstet sei. „Ich bin ziemlich sicher, daß da nichts passiert“, meint er und bessert dann seine Aussage nach: „Wir haben in jedem Fall den Versuch im Griff.“ Das Experiment soll nur Stunden dauern, die Messungen einige Tage. Mit rund 400 Sensoren werden Temperaturen, radioaktive Strahlung, Konzentrationen der verschiedenen Stoffe und Druck gemessen.
Aber nicht alle Wissenschaftler halten den GAU zu Forschungszwecken für beherrschbar. Die britische Zeitschrift New Scientist zitiert einen DSIN-Berater, der eine Explosion nicht ausschließt. Wenn durch die enorme Hitze die aus Zirkonium bestehende Verkleidung des Reaktorkerns schmelzen sollte und mit dem verdampfenden Restkühlwasser reagiert, könne bei einem Zusammentreffen mit Sauerstoff alles in die Luft fliegen.
Peter von der Hardt, der seit 30 Jahren im Nukleargeschäft ist, insistiert darauf, daß es sich bei dem etwa 240 Millionen Mark teuren Experiment um ein reines Forschungsvorhaben handelt. „Was die Genehmigungsbehörden und die Industrie später damit machen, ist nicht mehr unsere Sache“, meint er. Die Auftraggeber des Versuchs sind sowohl staatliche Genehmigungsbehörden als auch Institute von Betreibergesellschaften: Außer dem französischen Institut für nukleare Sicherheit (IPSN) und der gemeinsamen EG- Forschungsstelle Ispra sind auch die US-amerikanische Genehmigungsbehörde NRC, die kanadische Betreibergesellschaft KOG, die staatliche japanische Nupec und ein südkoreanisches Forschungsinstitut beteiligt. Und worauf es denen auch ankommt, wird aus von der Hardts Einschätzung deutlich: „Die heutigen Genehmigungsverfahren legen immer Maximalhypothesen zugrunde. Viele halten diese Annahmen für zu hoch.“ Nach Vorstellung der Forscher sind die Ergebnisse der Simulation später auf auf Atommeiler aller Art übertragbar. „Davon können dann auch die osteuropäischen Länder profitieren“, meint der EG-Mann.
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