: Und die Hüfte gibt ein Solo
■ Tanztheaterwochen auf Kampnagel mit Raimund Hoghes Verdi Prati eröffnet
auf Kampnagel mit Raimund Hoghes Verdi Prati eröffnet
Daß die Bühne ein Spiegel der Wirklichkeit ist, wollen uns Theatermacher seit Jahrhunderten glauben machen. Nicht so Raimund Hoghe. Seine Bühne ist nicht ein Spiegel, sondern ein Spiegel ist auf der Bühne. Der Choreograph persönlich sitzt dort und hält ihn uns vor. Und was sehen wir darin? Nicht das wirkliche Leben, sondern ein Fernsehbild. Nicht uns, sondern Marlene Dietrich, ferne Diva. Zehn Minuten lang geschieht nichts, wir lauschen nur den weltberühmten Klängen. Danach schiebt Hoghe den Fernseher zur Seite und zieht einen Streifen roten Vorhang auf die Bühne. Diese Bretter wollen nicht die Welt, sie wollen die Kunst bedeuten.
Auftritt Rodolpho Leoni, das Tanzspiel beginnt. Auf einem penibel geschnittenen Quader echten Rasens bewegt sich der brasilianische Tänzer im legeren Anzug mit exakter Eleganz. Immer wieder verschwindet er hinterm Vorhang, tritt erneut hervor und zeigt eine weitere Variation seiner Gesten: mal weich und ausladend, mal hart und streng. All dies geschieht in absoluter Stille. Erst als Leoni den Rasen verläßt und auf den nackten Bühnenboden tritt, setzt Musik ein: Händels „Verdi prati“, zu deutsch „Grüne Wiesen“.
Hoghes gleichnamige Inszenierung orientiert sich an der Struktur der Musikcollage. Händel, Maria Callas und Bobby McFerrin sind hart aneinander geschnitten und fordern Leoni immer neu heraus. Doch der beherrscht den Tango für Astor Piazzola genauso wie den Walzer von Johann Strauss. Seinen Körper setzt er als Ensemble ein: mal tanzen die Hände ein Duo, mal sind es ausschließlich die Beine; erst kreist die Schulter in nie gekannter Differenzierung, später gibt die Hüfte ein Solo.
Atemlos wirkt allerdings der Umgang mit den Requisiten: Von ihrer spielerischen Verwertbarkeit geradezu gehetzt, läßt Hoghe Leoni von einem Objekt auf der Bühne zum nächsten jagen. Zwar entstehen hier viele sehr schöne Momente, etwa wenn Leoni schlangenmenschgleich eine Obstschale beschwört, doch werden motivationslos Objekte vertanzt. Gegen Ende kann an den noch unberührten Requisiten auf der Bühne abgezählt werden, wieviele Tanzepisoden noch zu erwarten sind.
Trotzdem ist die Inszenierung des Düsseldorfer Autors und lang-
1jährigen Dramaturgen Pina Bauschs sehenswert, vor allem weil sie wohltuend eigen und undramatisch ist. Auf der grünen Wiese hat Hoghe eine narzißtische Traumwelt inszeniert. Wohl ist sie schön, die
1Welt hieß die letzte Produktion, die Hoghe und Leoni auf Kampnagel vorstellten — mit der neuen ist die Welt sogar noch ein wenig schöner. Christiane Kühl
Heute, 20.30 Uhr, Kampnagel, K6
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