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„Schweigen und arbeiten“

Schreibmaschinentäter und TV-Denkmal: Werner Höfer wird am Sonntag 80 Jahre alt  ■  Von Manfred Otzelberger

„Keine Aussage ist peinlicher als die: das habe ich vergessen.“ (Werner Höfer, 1944)

Manchmal leidet Werner Höfer an Entzugserscheinungen und wird rückfällig: Kürzlich interviewte er Wolfgang Menge, den „Motzki“-Erfinder, bei einer Hotel-Talkshow – und der Südwestfunk übertrug das Gespräch im Radio als „Bühler Begegnung“. Ein gnädiges Bonbon für den greisen Journalisten a.D., der einst so oft auf dem Schirm war wie Robert Lembke und Karl-Heinz Köpcke. Ansonsten ist es still geworden um den Mann mit der Hornbrille, der 35 Jahre lang Sonntag für Sonntag den Deutschen im Fernsehen launig zugeprostet hat. Werner Höfer hat sich in sein Ferienhaus auf Sylt und seine Kölner Wohnung mit Rheinblick zurückgezogen.

Eigentlich wollte der Medien- Methusalem immer im Unruhestand bleiben: Mit dem Weinglas in der Hand, so sein Traum, würde er – am liebsten vor laufender Kamera des „Internationalen Frühschoppens“ – sein Leben aushauchen. So sagte er es in den 70er Jahren in einem Playboy-Interview und danach bis 1987 immer wieder. Nun darf der TV-Rentner morgen mit 200 ausgewählten Getreuen zum Frühlingsanfang seinen 80. Geburtstag im Kölner Domhotel als eher tragische Figur der Mediengeschichte feiern.

Im Dezember 1987 war es, daß sich der prominente ARD-Journalist wegen seiner Nazivergangenheit von dem „Kind seiner Lenden“, der von ihm erfundenen multikulturellen Diskussionsrunde mit „sechs Journalisten aus fünf Ländern“ verabschieden mußte. Der Spiegel-Journalist Harald Wieser hatte über neun Seiten nachgewiesen, daß der 30jährige Höfer in der Nazizeit ein „Durchhalte-Feuilletonist“ und – höchstrichterlich bestätigt – „Schreibtischtäter“ war, der besonders eifrig, beflissen und ausdauernd dem Hitlerregime zugejubelt hatte. Es gab keinen Kollegen-Rabatt, obwohl Höfer sich während der Spiegel-Affäre vor das Magazin gestellt hatte. Und auch keinen Nachbar-Rabatt, obwohl Augstein ebenfalls auf Sylt ein Haus hat und Höfer ihn duzt.

Das Magazin enthüllte die Geschichte eines deutschen Verdrängungskünstlers, der nach dem Krieg an notorischem Gedächtnisverlust litt: Der wortgewaltige Diskussionsleiter wurde stets sehr wortkarg, wenn er auf seine NS- Vergangenheit angesprochen wurde. Nicht einmal nach seinem erzwungenen Abschied vom Bildschirm – nach 1.874 „Frühschoppen“-Ausgaben – hat sich das geändert.

Warum der Rundfunkrat und der Intendant ihn nicht mehr sehen wollten, hat der Mann, der „nicht zur unnötigen Selbstkritik neigt“, nie verstanden. Wie auch? Prominente Schulterklopfer bestärkten ihn schon während der Affäre in seiner Lebenslüge.

WDR-Kollegin Carola Stern versuchte in einer ZDF-Sendung nach dem Skandal Höfers Schuld zu relativieren, indem sie an ihre eigene begeisterte Mitarbeit beim „Bund Deutscher Mädchen“ (BDM) erinnerte. Alfred Grosser nannte nicht Höfers damaligen Hetzjournalismus, sondern die pointierte Aufklärung darüber „ziemlich infam“. NS-Rundfunk- Propagandamann Kiesinger habe Schlimmeres getan, und der habe immerhin Bundeskanzler bleiben dürfen. NS-Emigrant Sebastian Haffner, Verfasser des Standardwerkes „Anmerkungen über Hitler“, sekundierte dem bröckelnden TV-Urgestein: „Höfer ist mindestens ebenso sehr wie der Spiegel eine nationale Institution, die wir brauchen.“

Schon wahr: Höfer, der „Grandseigneur des deutschen Journalismus“ (Süddeutsche Zeitung), hatte durchaus Meriten. In über 40 Jahren machte der Rundfunkmann der ersten Nachkriegsstunde den WDR zu einem liberalen Sender der ARD und steckte etliche Prügel für unbequeme Sendungen weg. Der altväterliche Fernsehdirektor galt zwar als etwas verschroben, aber beliebt: nett zu Untergebenen, bekannt als Förderer von „Frauen mit Schicksal“, ein fanatischer Workaholic, ein Pünktlichkeits- und Ordnungsfanatiker, der erste am Scheibtisch, der letzte, der das Büro verließ – so steht es in der jüngsten Ausgabe der WDR- Hauszeitschrift WDR-Print.

Mit seinem antiquierten, etwas verschnarchten „Frühschoppen“ brachte Höfer zudem den Deutschen vielleicht wirklich ein Stück Diskussionskultur mit Ausländern bei, obwohl längst nicht alle mit seiner eitlen und manirierten Moderation einverstanden waren. „Höfer kann auch aus der Rolle fallen und die Ausländer am Tisch abkanzeln und damit dem fernsehenden deutschen Michel aus der Seele sprechen“, urteilte die Weltwoche im Jahre 1965.

Solche Stimmen sind die Ausnahme im Chor der Lobreden. Bis heute zehrt Höfer vom Mitleidsbonus aufgrund seines Alters und seiner Liberalität. In der Rolle des zu unrecht geschaßten Ehrenmannes bestätigten ihn Journalisten, die sich meist devot und schlecht vorbereitet dem knurrenden Fernsehdenkmal näherten. Das Lifestyle- Magazin Max beispielsweise bot ihm noch im Februar 1993 wohlfeile Verschwörungstheorien an: „Was glauben Sie, stand hinter der Geschichte? Eine gezielte Kampagne, eine konzertierte Aktion?“ Auch der nette Günther Jauch belästigte ihn in „Stern TV“ beim Spätlesetrinken in memoriam nicht etwa mit unangenehmen Fragen.

Immer wieder wurde die Legende gestrickt, Höfer sei nur über einen Artikel gestolpert – die Hymne auf die Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten. Die Wahrheit ist: Weit über die inkriminierten Artikel hinaus (der Spiegel hatte sich auf Artikel aus dem 12 Uhr Blatt, letztes Quartal 1943, beschränkt) hat Höfer unbarmherzigen Zynismus und ideologisches NS-Pathos gesät. Nicht einmal zwischen die Zeilen geschmuggelte „Viertelwahrheiten“ sind in seinen über 50 bekannten Propagandaartikeln enthalten. Er machte aus Zwangsarbeit ein „neues, arbeitendes Europa“, aus Flaksalven ein „robustes Konzert“ (13.4.1943, 12 Uhr Blatt), aus einem jüdischen Kaufmann ein „unterwertiges Beispiel“ (1.9.1942, BZ am Mittag). Höfer mußte sogar von Reichsrüstungsminister Albert Speer gebremst werden: Seine Artikel seien zu pathetisch. Der NS- Starjournalist erhob den Krieg zum „Gesundbad gegen Zivilisationskrankheiten“ (5.10.1943, 12 Uhr Blatt), das er freilich selbst nicht an der Front erleben wollte.

Höfer half objektiv mit, den Krieg zu verlängern: „Wenn heute ein Volksgenosse an seinem Werkplatz oder im Luftschutzkeller schwach zu werden droht, so mag er bedenken, daß es nur noch eine übersehbare Spanne Zeit durchzuhalten gilt, um nach der ständig fortschreitenden Wirkung unserer Abwehr wieder zum Gegenschlag überzuwechseln. Bis dahin aber heißt es: Schweigen und arbeiten.“ (30.9.1943, Bremer Nachrichten)

Auch um die deutsche Frau im Krieg sorgte sich Höfer. „Tapfer, geschickt, unverdrossen, aufrecht, ja ‘mannhaft'“ seien die „Mädchen, deren Horizont ansonsten nur von der Nähmaschine bis zum Kino zu reichen schien“. (29.11.1943, 12 Uhr Blatt) „Neger“ und Juden verachtete Höfer ebenso wie die russische und amerikanische Kultur. Die „Verjazzung von Rossinis Tell-Oper“ war ihm ein Greuel, so wie die „Verniggerung der Carmen“.

An Ausreden und Verhüllungsvokabeln mangelt es dem wendigen Journalisten in seinem vernagelten „So-schlimm-bin-ich-doch- wohl-nicht“ Gedankengebäude nicht. Ein „unpolitischer Intellektueller ... ein in der Wolle gefärbter Feuilletonist ... ein strebsames Kerlchen, das es mit den Musen treiben wollte“ sei er gewesen, sagte er im ZDF. Vermutlich ist er deshalb als „Märzgefallener“ 1933 in die Partei „gegen meinen Wunsch und Willen eingetreten worden“ (Playboy-Interview 1977).

Auch seine Tiraden seien eigentlich gar nicht so schlimm gewesen. Dem Kölner Stadtanzeiger sagte Höfer 1987, „herumgefummelt“ habe man an ihnen, hineinredigiert hätte man ihm die besonders wüsten Passagen, so auch die Beklatschung der Hinrichtung des Musikers Karlrobert Kreiten, der wegen ein paar kritischer Worte aufgehängt wurde: „Wie unnachsichtig jedoch mit einem Künstler verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung stiftet, ging aus einer Meldung der letzten Tage hervor, die von der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers berichtete. Es dürfte heute niemand Veständnis dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher verziehen würde als dem letzten gestrauchelten Volksgenossen.“ (20.9. 1943, 12 Uhr Blatt)

Eigentlich, diesen Eindruck versuchte Höfer immer wieder zu erwecken, sei es bei seinem Abtritt gar nicht um den dickfelligen NS- Journalisten und seine Unfähigkeit zu trauern gegangen. Die Enthüllungen hätten nur zur Prominenten-Demontage und Auflagesteigerung der „Pressegiganten“ gedient.

So stiehlt sich jemand aus seiner Biographie. Alle Fakten sprechen gegen den Mann, der zeitlebens mit „gußeisernem Gewissen“ (Harald Wieser) vor seiner Schuld geflohen ist. Höfers Unglaubwürdigkeit endet im Großen und beginnt im Kleinen: Nicht „ein, zwei Minuten“, wie Höfer munter verbreitet, hat Harald Wieser mit Höfer vor seiner Spiegel-Story telefoniert, sondern, der Wieser hat die Zeit noch einmal gestoppt, „25 Minuten und 13 Sekunden“. Daß sich die Fürsprecher von Höfer keinen Deut um die Opfer scheren, ärgert Wieser, dessen Vater in der NS- Zeit ebenfalls kein Widerstandskämpfer war, besonders.

Harald Wieser, mit dreiundvierzig Jahren ein Journalist aus der 68-Generation und früherer Kursbuch-Herausgeber, hat auch über sich selbst nachgedacht: „Vielleicht hätte ich mich wie Herr Höfer verhalten, vielleicht sogar beleidigender als er. Aber dieser entsetzliche Alptraum kann doch vierzig Jahre später nicht die Richtschnur meiner politisch-moralischen Wertungen sein, etwa nach der Maxime: so what, vielleicht wäre ich selber ein Eichmann geworden.“ Wieser hätte durchaus Interesse an einem weiteren Gespräch mit Höfer. Der allerdings würde — so Höfer zur taz — Wieser nicht die Hand geben. Stattdessen würde er Wieser „als Kollegen helfen, wenn er in Not geraten würde.“

Höfer hat auch zu seiner morgigen Geburtstagsfeierstunde etliche seiner früheren WDR-Mitarbeiter, „von denen keiner damals ein böses Wort über mich verloren hat“ (Höfer) eingeladen, aber keinen Intendanten, keinen Rundfunkrat. Die WDR-Spitzen, die sich jahrzehntelang geweigert hatten, Höfers Nazivergangenheit sorgfältig zu prüfen, gaben ihm am Ende einen Fußtritt, hörten ihn schäbigerweise gar nicht mehr an. In den Jahren zuvor hatte der Sender die diversen Vorwürfe gegen Höfer, vorgebracht von einer skurrilen Koalition aus DDR-Propaganda, Nationalzeitung und Springerpresse, beiseite geschoben. Aus der DDR wurde Höfer als „Gestapogehilfe, brauner Rufmörder, tiefbraune Ratte, Rassenhaßprediger“ beschimpft. Die Deutsche Nationalzeitung schmähte den linksliberalen „Umerzieher“ mit ebenso deftigen Vokabeln: „strammer Widerstands-Werner, Reue-Höfer, schweinsäugiger Gastgeber“.

Warum Höfer so lange unbehelligt blieb, erklärt sich der frühere WDR-Intendant Klaus von Bismarck heute so: „Natürlich wußte ich, daß Höfer ein ehrgeiziger junger Kriegsberichterstatter war, der in seinen Berichten die Fanfaren so heroisch tönen ließ, wie es damals gewünscht war. Später – nach meiner Zeit als Intendant – kam heraus, daß doch mehr gegen Höfer vorlag. Bei meiner Beurteilung dieser schweren Belastung habe ich mir klarzumachen versucht, daß Höfer sich in seiner tatkräftigen Begeisterung für die neue demokratische Ordnung, mit seinen auch schlitzohrigen Fähigkeiten, mit seinem neuen ‘Ego' und seinem dynamischen Einsatz selbst den Nebel machte, in dem sich die vergangene Phase verlor.“

Den würdelosen Abschied vom WDR hatte Höfer nicht verdient. Eine „Symbolfigur der zweiten Vergangenheitsbewältigung“ nannte ihn Hellmuth Karasek, der damals die Spiegel-Story ins Blatt hob und sie auch im Fernsehen vehement verteidigte. Für Stern-Autor Heinrich Jaenicke bündelte sich 1988 in der Figur Höfer exemplarisch die deutsche Geschichte: „Denn was uns an dieser Figur bewegt, was uns in ihr begegnet, ist das Elend dieses Staates, die ganze Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Erblast, mit all ihren Verklemmungen und Verdrängungen, mit ihrer Arroganz und Blindheit, mit ihrem unaufgeräumten Innenleben.“

Die TV-Sendung zum 80sten, „Zwei Tage mit Werner Höfer“, ist heute um 21.45 Uhr in West3, morgen um 21.10 Uhr in N3 und am 2. April um 22.40 Uhr im Kulturkanal Arte zu sehen.

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