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Der „geliebte Führer“ und die Atombombe

Die Furcht vor der Unberechenbarkeit der Atommacht Nordkorea und ihrer Diktatoren wächst  ■ Aus Tokio Georg Blume

Asien im Jahr 2000. Zu Jahresbeginn verkündet der nordkoreanische Präsident Kim Jong Il die nukleare Erstschlagsfähigkeit seines Landes gegenüber dem Süden. Im Gegenzug gibt Seoul den Bau einer militärischen Wiederaufarbeitungsanlage zur Herstellung von waffentauglichem Plutonium bekannt. Um die Angst der Bevölkerung vor einem atomaren Bürgerkrieg zu dämpfen, begründen Süd- und Nordkorea ihre nukleare Aufrüstung mit der 1998 fertiggestellten Wiederaufarbeitungsanlage in Japan.

Die Antwort läßt nicht lange auf sich warten: Japan, das in Folge von Handelskonflikten mit der Clinton-Administration nur noch über ein loses Sicherheitsbündnis mit den USA verfügt, erklärt sich während des im Sommer stattfindenen G7-Gipfels in Tokio zur Atommacht. Der Westen reagiert hilflos. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf beginnt daraufhin ein harter Streit um Japan, in dem der republikanische Herausforderer von Al Gore die außenpolitische Isolierung des stärksten Wirtschaftskonkurrenten der USA fordert und damit die Wahl gewinnt. Die Folgen sind nicht absehbar: In Nordostasien stehen sich mit Rußland, China, Japan und den beiden Koreas gleich fünf Atommächte gegenüber, die untereinander über keinerlei Sicherheitsabkommen verfügen und mit den USA die letzte regionale Ordnungsmacht verloren haben. Im Jahr 2000 steht der asiatische Atomkrieg vor der Tür.

Doch schon im März 1993 erscheint das atomare Zukunftsszenario in Asien alles andere als wirklichkeitsfremd. Vor acht Tagen kündigte Nordkorea seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag an. Die ganze Welt ist seither davon überzeugt, daß Diktator Kim Il Sung die Atombombe besitzt. Dessen ungeachtet beginnt kommende Woche in Japan der Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage, die dem Land zusammen mit den Plutoniumtransporten aus FrankreIch bis zum Jahr 2000 einen Überschuß von voraussichtlich 30 Tonnen Plutonium gewährt.

Experten fürchten, daß Südkorea und Taiwan, die bisher aus Rücksicht auf die USA kein eigenes Plutoniumprogramm auflegten, den Japanern folgen werden. Wirtschaftlich versprechen Wiederaufarbeitungsanlagen heute keinen Nutzen mehr. Doch im Hinterkopf denken alle an die Bombe. Im Mittelpunkt der atomaren Eskalation in Asien steht Nordkorea. In dieser Woche rief das Land einen Zustand des „Halbkrieges“ aus, setzte über eine Million Soldaten in höchste Alarmbereitschaft, schaltete die Telefonverbindungen zum Ausland ab und befahl den Bürgern der Hauptstadt, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten.

Die nordkoreanischen Kriegsdrohungen kamen nicht aus blauem Himmel. Nach einem Jahr Pause, in dem man an die Dialogbereitschaft des Nordens glaubte, führten amerikanische und südkoreanische Truppen in den vergangenen Tagen ihr Frühjahrsmanöver „Team Spirit“ durch. Der Norden sprach von einer „Atomkriegsübung“. 120.000 Mann, ausgerüstet mit F117 A Stealth-Bombern und modernstem Waffenzeug, nahmen am letzten Großmanöver des Kalten Krieges teil.

Nach Abschluß der 10-tägigen Übungen am gestrigen Freitag kündigte das südkoreanische Verteidigungsministerium noch am gleichen Tag die Wiederholung der Manöver im nächsten Jahr an. Zuvor hatte es nach Erklärungen des nordkoreanischen Botschafters in Jordanien, Kung Sok Ung, Spekulationen über neue Kompromißangebote aus Pjöngjang gegeben. Kung sagte gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, daß Nordkorea unter das Dach des Atomwaffensperrvertrages zurückkehre, falls die USA und Südkorea ihre gemeinsamen Manöver ein für allemal aufgeben. Doch gleichzeitig schloß Kung weitere Inspektionen der nordkoreanischen Atomreaktoren aus.

Längst sind die Drohgebärden des Regimes von Kim Il Sung auch ein innenpolitisches Spektakel. Der nordkoreanische Gewerkschaftsverband unterstützt den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag als „patriotische Maßnahme, um unsere Landsleute vor dem Krieg zu retten“. Schon mußten die Arbeiter die Fabriken verlassen, um sich im „Halbkrieg“ einzurichten. Dabei schätzen südkoreanische Militärexperten, daß der Norden für die Generalmobilmachung täglich so viel Energie wie die Hauptstadt Pjöngjang in einem halben Jahr verbraucht.

Die Washingtoner Diplomatie reagierte blitzschnell auf den nordkoreanischen Rückzug vom Atomwaffensperrvertrag. Bereits am Mittwoch fanden in Peking unter chinesischer Regie geheime Gespräche zwischen amnerikanischen und nordkoreanischen Regierungsvertretern statt. Zuvor hatte sich Washington für eine Entspannungsstrategie entschlossen. In Wien folgte am Donnerstag eine Sondersitzung der internationalen Atombehörde (IAEA) der amerikanischen Politik und beschloß, von Sanktionen gegen Nordkorea und einer Berufung des Weltsicherheitsrats vorerst abzusehen. Zwar will die IAEA schon am 31. März erneut beraten, doch die Initiative liegt nun auf diplomatischer Seite. Trotz der Austrittsverkündung ist Nordkorea noch für weitere drei Monate Mitglied des Vertrags. In dieser Zeit hoffen die USA, Kim Il Sung zum Umdenken bewegen zu können.

Doch der Erfolg erscheint weniger gewiß denn je. „Es ist eine unvermeidliche Konsequenz der nordkoreanischen Entscheidung, daß damit die Rolle der Militärs in der koreanischen Politik wiederbelebt wird“, sagt Chang Dal Joong, Politologe an der National- Universität in Seoul. Bereits die letzten Tage gaben ihm recht. Kim Young Sam, Südkoreas neugewählter Präsident, hatte nach seiner Amtsübernahme Ende Februar freie Wirtschaftskontakte mit dem Norden angekündigt und seinen Sicherheitsbehörden verboten, politische Organisationen zu bespitzeln. Symbolisch ließ Kim den bekanntesten politischen Gefangenen des Landes, Pfarrer Moon Ik Hwan, befreien, der nur aufgrund einer Reise in den Norden fünf Jahre Freiheitsstrafe erhalten hatte. Doch dann drehte der Wind. Unter den neuen Spekulationen um die nordkoreanische Atombombe mußte Kim dem Druck seiner Militärs widerwillig nachgeben. Inzwischen hat Kim alle Wirtschaftsbeziehungen mit dem Norden vorläufig ausgesetzt.

Insgeheimes Grauen

Südkorea befürchtet zudem, daß die westliche Diplomatie die eigenen Interessen nicht genügend berücksichtigt. Insgeheim graut der südkoreanischen Regierung vor einem Konfrontationszenario nach Vorbild des Irak. Vor allem militärische Maßnahmen gegen Nordkorea, wie sie bereits von westlichen Diplomaten hinter den Kulissen diskutiert werden, erscheinen in Seoul unsinnig. Die südkoreanische Hauptstadt liegt nur 40 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt.

Nordkorea selbst sucht die Opferrolle, die es bei einem solchen Szenario einnehmen könnte. Das Land verfügt mit 1,32 Millionen Soldaten über die viertgrößte Armee der Welt. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl von 22 Millionen ist Nordkorea das militarisiertestes Land der Welt. 30 Prozent des Bruttosozialprodukts steckt Pjöngjang in die Rüstung. Ein „umfassender Entwaffnungsschlag von der Größenordnung des Golfkrieges“, wie ihn etwa auch die Experten der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung gegenüber Nordkorea in ihrer Analyse möglicher internationaler Optionen vorstellen, ist deshalb völlig undenkbar.

Wenn stimmt, was der südkoreanische Außenminister Han Sung Joo vermutet, dürfte Nordkorea derzeit kaum zurückstecken. Han interpretiert die Eskalationsstrategie des Nordens als Begleitmusik für den Machtwechsel in Pjöngjang. Auf den „Großen Führer“ Kim Il Sung, 80, soll sein Sohn, der „Liebe Führer“ Kim Jong Il, 51, folgen. Um der ersten kommunistischen Staatsdynastie in der Welt bei der Wachablösung zu neuer Glaubwürdig zu verhelfen, könnten die Kims bewußt eine internationale Krise heraufbeschoren haben.

Mit Kim Jong Il an der Macht aber würde die nordkoreanische Atombombe erst recht zu einem Alptraum für die Nachbarstaaten. Der Prinz von Pjöngjang gilt als unberechenbar. Bis auf eine Reise nach China hat er nie das Land verlassen. Seine Reden werden von Regierungssprechern verlesen. Das südkoreanische Außenministerium glaubt, daß selbst die Nordkoreaner noch nie seine Stimme vernommen haben. Berichten des einst von Nordkorea gekidnappten südkoreanischen Filmemachers Sheen Sang Okk zufolge besitzt Kim Il Jong eine Sammlung von mehr als 20.000 Filmen, mit der er Tag und Nacht verbringt. Acht Jahre mußte Sheen an der Seite Kim Jong Ils verbringen. Im Rückblick bezeichnet er Kim als „kindlichen Diktator“.

Unter russischen Diplomaten ist der Prinz von Pjöngjang vor allem für seine Vorliebe für Partys, Alkohol und schwedische Frauen bekannt. Noch fragwürdiger als seine privaten Vorlieben ist die Heldenverklärung des „Lieben Führers“. Die Staatslegende verkündet die Geburt eines „großartigen Generals, der über die ganze Welt regieren wird“, in einer einsamen Hütte am Paekdu, dem heiligen Berg Koreas. Dabei sei ein großer Stern erschienen, der „überraschend aus den unberührten Wäldern aufstieg“. Bereits als Schuljunge habe Kim nordkoreanische Starfighter-Piloten unterrichtet und ein amerikanisches Komplott aufgedeckt. Später soll der nordkoreanische Jesus innerhalb von zwei Jahren sechs Opern komponiert haben – jede besser „als alle Opern, welche die Menschheit je erfand“. Doch auch in der Rolle Mozarts erweckt Kim Jong Il im Ausland kaum Vertrauen.

Neben Südkorea sorgt sich vor allem Japan. Nordkorea verfügt seit Jahren über eine eigene Raketenindustrie. Gemeinsam mit dem Iran entwickelt Nordkorea derzeit die neue Trägerrakete No Dong I. „Wir gehen davon aus, daß Nordkorea nukleare Zündkapseln entwickelt hat und Raketen mit einer Reichweite über 1.000 Kilometer erfolgreich getestet hat,“ meint Südkoreas Verteidigungsminister Kwon Young Hae. Die neuen Waffen würden erstmals auch Japan erreichen. Die nordkoreanische Drohung ist auch deshalb brisant, weil die Beziehungen zwischen Japan und Korea noch aufgrund der dreißigjährigen Kolonialsierung der koreanischen Halbinsel durch japanische Truppen vor dem 2. Weltkrieg besonders krisenanfällig sind. Nicht umsonst berichtet auch das südkoreanische Verteidigungsweißbuch über das japanische Militärpotential. Dabei wagt Seoul derzeit offene Kritik an den Wiederaufarbeitungsplänen in Tokio.

Die Schlüsselrolle im Koreakonflikt hält jedoch zweifellos China, Nordkoreas letzter Verbündeter. Ohne Erdöl und Lebensmittel aus China könnte das Regime in Pjöngjang kaum überleben. Schon jetzt dürfen die Nordkoreaner am Sonntag nicht den Wagen benutzen. Zwar verlangt auch China inzwischen Hartwährung von Nordkorea. Doch bestreiten beide Länder nach südkoreanischen Schätzungen 70 Prozent ihres Handels im Tauschgeschäft. Genau dieser Umstand würde auch die Umsetzung eventueller Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea erheblich erschweren. Wobei der nordkoreanische Handel mit der übrigen Welt heute bereits so gering ist, daß Pjöngjang offenbar glaubt, für die Atombombe darauf verzichten zu können.

Noch im März war der Besuch des „Lieben Führers“ im Reich der Mitte vorgesehen. Doch Peking gewährte keinen Staatsempfang, und Kim sagte ab. Das freilich hielt die Chinesen diese Woche nicht davon ab, mit ihrem Vetorecht eine Resolution gegen Nordkorea im Weltsicherheitsrat zu blockieren. Auch in der IAEA verhinderte China die Unterrichtung des UN-Generalsekretärs. Das symbolisiert freilich den ungewohnten Mächtekampf in Asien: Mit jeder verbotenen Allianz läßt sich eine Waffe gegen den Westen schmieden. Als diplomatische Geisel haben die Machtpolitiker in Peking vermutlich noch lange Zeit Verwendung für ein isoliertes Nordkorea. Könnte der alte Diktator gar recht behalten? „Die gegenwärtige revolutionäre Lage ist schwierig und komplex, aber die Zukunft der Revolution ist optimistisch und unsere Sache immer die der Sieger“, schrieb Kim Il Sung im Februar an die nordkoreanische Arbeiterjugend. Wenn Asien dem Ruf Kims nach der Atombombe folgt, hätte Nordkorea womöglich seinen letzten, zweifelhaften Sieg errungen.

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