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Werbung – ein uraltes missionarisches Prinzip

■ Graham ist im Glaubens-Showgeschäft der Größte – Kirchen hängen sich dran

Vielleicht können Sie mich bekehren“, hat Woody Allen einmal zu Billy Graham gesagt, „ich meine, ich hab' keine Überzeugungen in irgendeiner Richtung, und wenn Sie es attraktiv genug machen und mir eine Art Leben nach dem Tod versprechen, mit einem weißen Gewand und Flügeln und so, möglich, daß mir das gefällt.“ Graham: „Nun, ich kann ihnen keine Flügel versprechen, aber ein sehr interessantes, aufregendes Leben.“ – Wir wissen nicht, ob Woody Allen ihm geglaubt hat. Hierzulande zumindest glauben immer weniger Menschen den Versprechungen von Kirchenleuten. Die Volkskirchen leiden unter Schwindsucht. Sie müssen fürchten, daß ihre Institutionen und 13 Milliarden Kirchensteuern so langsam hinwegsiechen.

Allein den Protestanten liefen 1991 knapp 150.000 Schäflein davon. Die obersten Kirchengremien sind ratlos. Und weil die himmlische Inspiration fehlt, wollen sie das Problem ganz irdisch lösen. Statt „weltfremd, altmodisch, langweilig und steif“, wie ihr immer wieder bescheinigt wird, will sich die Kirche „auf der Höhe der Zeit“ präsentieren – und sei es mit den Mitteln des Marktes. Werbekampagnen sollen den Abwärtstrend stoppen. Bei den Landeskirchen in Bremen, Nordelbien, Bayern und Hessen-Nassau wird schon seit Monaten an Marketing-Strategien gebastelt. Professionelle Agenturen sollen die Botschaft konsumentengerecht zuschneiden und verkünden helfen. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als Dachverband hat bereits Interesse angemeldet. Auf Seelenfang mit Slogans wie: „Alle machen Faxen. Wir machen Sinn! – Die Kirche.“

Interne und externe KritikerInnen der geplanten Werbefeldzüge beißen auf Schaumgummi. „Wir wollen Kirche wieder ins Gespräch bringen, das ist was ganz anderes als Werbung“, sagt Hermann Preßler von der Evangelischen Kirche im Rheinland, deren Stadtkirchenverband in Köln bereits im letzten Jahr beschloß, sich wie ein Produkt auf den Markt zu tragen. Doch von „Produktwerbung“ will Preßler nichts wissen: „Das ist eine Kommunikationskampagne“, lautet die kircheninterne Sprachregelung. Auch von der EKD wird um Verständnis für den profanen Akt geworben. „Menschen für den Glauben zu gewinnen“, sinniert Sprecher Peter Kollmar, „ist ein uraltes, missionarisches Prinzip.“ Und die Mediengesellschaft „setzt die Kirche unter Druck“.

Der scheint so groß, daß den Kirchenstrategen im Kampf gegen die Erosion und Marginalisierung manches Mittel recht ist. Der erzkonservative Starprediger Billy Graham und seine Evangelisationskampagne „Pro Christ 93“ zum Beispiel. Für das Spektakel engagieren sich neben Politikern mehr als 50 Kirchenrepräsentanten. Offen geben die Evangelen zu, den Baptisten als Einstiegsdroge benutzen zu wollen. „Vielleicht könnte die Veranstaltung in Essen der Impuls für einen beginnenden 'Missionarischen Prozeß‘ sein, der sich fortsetzt“, hofft der württembergische Landesbischof Sorg. Und auch sein Kollege in Berlin- Brandenburg, Kruse, unterstützt die mediale Großveranstaltung, weil die Aktion ein „außergewöhnlicher Versuch“ sei, „nach neuen Wegen der Verkündigung zu suchen“.

Mit 1,7 Millionen Mark sponsern 19 der 24 evangelischen Landeskirchen die acht Millionen teure „Pro Christ“-Bewußtseinsindustrie; der Rest soll durch Spenden reinkommen. Da haben sich in den kircheninternen Flügelkämpfen die „Evangelikalen“, die fundamentalistischen Biblizisten – mit Unterstützung von Spitzenvertretern der Kirchengremien, die eine Abwanderung der „Frommen“ befürchten – gegen die „Progressiven“, die Ökumeniker durchgesetzt. „Es gibt bei uns natürlich Gemeinden, die das Engagement für 'Pro Christ‘ kritisieren“, räumt der Sprecher der rheinländischen Protestanten ein, die mit 450.000 Mark am meisten beisteuern, „weil sie Vorbehalte gegen Billy Graham haben.“

Der 74jährige US-Amerikaner Graham ist im Evangelisations- Showgeschäft der Größte. Dabei ist er eine biblische Flachpfeife und als Verkünder arm im Geiste, aber er kommt wenigstens ohne Wunderzauber und Krankenheilung aus. Deshalb gilt er als seriös. Der Papst der „American Religion“ und Pastor der Präsidenten war immer nahe am Zentrum der Macht und politisch auf der Höhe der Zeit. Er predigte für US-Militäreinsätze in Korea und Vietnam. Im Kalten Krieg verteufelte er den Kommunismus, unterstützte McCarthy und diffamierte die Kriegsgegner in den USA als „Ratten und Termiten“.

Am Tag vor Beginn des Golfkriegs veranstaltete er auf Bitten von Bush einen „Friedensgottesdienst“ für den Präsidenten und seine führenden Militärs. Am besten charakterisierte sich Graham am Ende der siebziger Jahre selbst: nachdem sein Freund Nixon im Watergate-Skandal aufgeflogen war, gab der Prediger zu, „das Königreich Gottes mit dem american way of life verwechselt zu haben“. Und irgend etwas müssen wohl auch die hiesigen Kirchenleute verwechseln, wenn sie glauben, dieser Mann hätte den säkularisierten Sündern eine Frohe Botschaft zu verkünden.

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