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„Sie schaffen eine Atmosphäre konstanter Instabilität“

■ Interview mit dem ägyptischen Politologen Ahmad Abdallah, der im englischen Cambridge promovierte und heute als Schriftsteller und Journalist in Kairo arbeitet

Bekannt wurde Ahmad Abdallah in den 70er Jahren als einer der Führer der linken Studentenbewegung Ägyptens: wegen oppositioneller Aktivitäten zur Zeit der Regierung von Präsident Anwar el- Sadat saß er mehrmals im Gefängnis. Der heute 43jährige ist Mitglied des Aufsichtsrats der 1984 gegründeten „Ägyptischen Organisation für Menschenrechte“.

taz: Herr Abdallah, welches mögliche Szenario sehen Sie für die Auseinandersetzung zwischen Regierung und islamistischer Opposition in Ägypten?

Ahmad Abdallah: Kurzfristig gesehen ist der Staat wahrscheinlich in der Lage, diese neue Welle der Gewalt unter Kontrolle zu bringen, inbesondere dann, wenn er in dieser Angelegenheit von der nicht-islamistischen Opposition unterstützt wird; denn auch die hat Angst vor einer islamistischen Machtübernahme. Langfristig wird das allerdings nicht funktionieren. Wir haben von der Geschichte gelernt, daß die Islamisten immer wieder auf der politischen Bühne erschienen sind, die Muslimbruderschaft etwa, obwohl oft unterdrückt und eingesperrt, existiert immerhin seit zirka 70 Jahren. Präsident Sadat wurde vor zehn Jahren von militanten Islamisten erschossen, und auch heute noch stehen wir vor der gleichen Auseinandersetzung zwischen Staat und Islamisten.

Welche Strategie verfolgt die Regierung im Umgang mit ihrer islamistischen Opposition?

Bisher reagiert sie nur und das äußerst kurzsichtig. Ich bezweifle, daß sie über eine längerfristige Strategie verfügt. Und jetzt grenzt sie auch noch den moderaten Teil der Islamisten aus, bis von den Moderaten keiner mehr übrig ist. Man kann eine solche Bewegung nicht abdrängen – das ist politischer Selbstmord. Wir haben 440 Sitze im Parlament. Warum kann sich eine Regierung nicht politisch öffnen und einen Teil der Sitze an die Islamisten vergeben? Die Regierung sollte die Muslimbruderschaft lieber heute als morgen legalisieren. Morgen kann es bereits zu spät sein. Die radikalen Gruppen können nur gestoppt werden, wenn ein Antikorruptions- und ein Arbeitsbeschaffungsprogramm besonders für jugendliche Arbeitslose initiiert wird. Das politische System muß sich öffnen, es müssen echte Wahlen veranstaltet werden. Nur so kann man eine weitere Radikalisierung stoppen.

Viele fürchten, daß hier dann das gleiche wie in Algerien passiert...

Ich fürchte eher, daß, während die Regierung versucht, in Ägypten das, was in Algerien passiert ist, zu verhindern, sie leicht in die iranische Falle tappen könnte: die Islamisten könnten, statt legal durch Wahlen an die Macht zu gelangen, auf revolutionärem Weg das gleiche erreichen – wie im Iran. Soweit sind wir zwar noch nicht. Aber wenn die Ägypter ihre wirtschaftliche und soziale Lage nicht mehr ertragen können und auf die Straße gehen, dann brauchen die Islamisten nur wenige Stunden, um sich an die Spitze eines solchen Aufstandes zu setzen.

Und wer weder das algerische noch das iranische Szenario wünscht?

Um beides zu verhindern, muß eine nationale Alternative zu den Islamisten geschaffen werden, die im Falle wirklich demokratischer Wahlen gegen die Islamisten gewinnen könnte. Den Islamisten muß mit demokratischen Wahlen, nicht mit Waffen begegnet werden. Sie könnten ebenfalls zu den Waffen greifen, und dann befindet sich Ägypten in einem Teufelskreis der Gewalt. Wenn es den militanten Islamisten zur Zeit auch nicht gelingt, mit Gewalt die Macht zu übernehmen, so schaffen sie doch eine Atmosphäre konstanter Instabilität, die Touristen und ausländische Investoren abschreckt und die im Innern die Bevölkerung von ihrem politischen System entfremdet.

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