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Trittfest und polosicher

...tickt die Art-Deco-Uhr „Reverso“ einer Renaissance entgegen: „Uhr-Kultur – Höhepunkte der Uhrmacher-Kunst“, eilig aufgespürt und gründlich nachgemessen beim Juwelier in der Rheinstraße  ■ Von Klaudia Brunst

Ich bin spät dran, müßte mal wieder sieben Dinge gleichzeitig erledigen und soll doch schon in zehn Minuten in der Rheinstraße sein. Also rein ins Taxi, wenn die Zeit davonrennt, muß man eben mit der Droschke hinterherrasen. Auf Punkt elf ist der Presserundgang durch die kleine Ausstellung „Uhr-Kultur“ terminiert, und wer Zeit verkauft, ist höchstwahrscheinlich ein pünktlicher Charakter.

„Schön, daß ich Sie hier heute begrüßen kann“, empfängt mich Herr Lorenz, jüngster Sprößling der Juwelierfamilie, mit warmem Händedruck und führt mich hurtig vorbei an den vielen nobel gewienerten Glasvitrinen in einen kleinen Museums-Keller unterhalb des Verkaufsraums. Hier lagert die Zeit, die seit jeher die Eigenschaft hatte, unmerklich zu vergehen. Hier wird anschaulich verdeutlicht, wie lange der Mensch bereits die Vergänglichkeit zu messen versucht.

Die alten Ägypter ermittelten sie mittels eines Wassertrogs, bei Sonnenaufgang wurde das tönerne Gefäß, das heute in Steglitz steht, mit Nil-Wasser gefüllt. Eine winzige Öffnung im Boden ließ den Wasserspiegel gleichmäßig absinken. Verlustmessung als Zeitmaß. Im dunklen Mittelalter zeigte das Oel im Stundenlämpchen an, wie die Zeit ihren Lauf nahm. Die Uhr war so nicht nur Hüterin der Zeit, sondern auch des kostbaren Lichts. Sonnigere Kulturen verlegten sich dagegen früh auf das Spiel mit dem Schatten, die moderne Sonnenuhr gab es 1680 sogar im reisefreundlichen Klapp-Kästchen.

„Zeit sprengt alle Mauern“, steht in goldenen Lettern im Verkaufsraum, aber die gesellschaftlichen Stände sprengte sie lange nicht. Der Besitz der exakten Zeit war Herrschaftswissen. Reich verzierte Chronometer, klingende Spieluhren oder gülden verspielte Anhängeruhren zierten vor allem die gekrönten Häupte. Rasch geht es weiter durch die Jahrhunderte der Zeitmessung, schnell, schnell, jeder Blick, jede Sekunde ist kostbar, denn oben soll uns in wenigen Minuten schon die absolute Weltneuheit aus der Schwyz präsentiert werden. Reinhard Billmann, Repräsentant der Traditionsfirma Jaeger-LeCoultre, ist dafür extra aus dem Alpenstaat angereist, und auch seine Zeit ist verständlicherweise begrenzt.

„50 Millionen Armbanduhren werden in diesem Jahr über deutsche Ladentische gehen“, dokumentiert er den Wandel der Zeiten – weltweit sind es jährlich 800 Millionen, aber wer kann sich das schon wirklich vorstellen? Der Besitz der Zeit wurde von der Industrie mittlerweile vergesellschaftet. Die Uhr ist schon lange ein Zweckbündnis mit der Arbeiterschaft eingegangen. Maschinell gefertigte Fernost-Importe machen's möglich – ein Absatzproblem für das alteingesessene Präzisionshandwerk der Schweizer Uhrmacher, die doch so stolz auf ihre Präzisionshandwerk waren und es auch bleiben wollten. So verlegt man sich im ausgehenden 20. Jahrhundert wieder verstärkt auf die mechanische Präzisionsuhr für die finanzstarke Oberklasse.

Das Kleinste, das Flachste oder das Komplizierteste soll es sein, was der standesbewußte Herr unter dem Armani-Hemd trägt. „Das ist der Einstieg in das 21. Jahrhundert“, behauptet Reinhard Billmann in aller helvetischer Bescheidenheit und zeigt uns die „Géographique“, eine automatische Weltzeitarmbanduhr, mit der der gestreßte Manager-Typ in Sekundenschnelle die aktuelle Zeit in den 24 Zeitzonen der Welt ablesen kann. „Drücken Sie doch mal auf diesen Knopf“, bittet Herr Billmann eine junge Journalistin, die so prompt in der Rheinstraße erfährt, was die Stunde in Rio geschlagen hat.

Das beeindruckt uns mindestens so sehr wie der formschöne Art-Deco-Klassiker „Reverso“, auch eine Erfindung aus dem Hauses Jaeger-LeCoultre. 1931 spielten die englischen Offiziere in Indien nämlich vor allem Polo, da brauchte es eine stoßsichere Armbanduhr, die bei den Upper-class- Raufereien nicht gleich ihren Geist aufgab. Und so entwickelte der Pariser Ingenieur René-Alfred Chauvot ein Gehäuse aus Edelstahl, das sich in seiner Fassung vollständig umdrehen ließ. Also gewissermaßen eine Timex für die Oberschicht, eine Uhr, die zwar wegen ihrer eckigen Form bis heute nicht wasserdicht zu fertigen ist, aber dafür „durch ihre perfekte Ästhetik überzeugt“. Vor drei Jahren wieder aufgelegt, kostet die Jubiläums-Reverso die Kleinigkeit von 25.600 DM, wer sich das nicht leisten kann, muß mit der Weißgold- Version mit Lederband und Goldschließe für 16.500 DM vorliebnehmen. Zeit ist eben Geld.

Die Journalisten schauen heimlich auf ihre billigen Swatch-Uhren. Nun wird es wirklich Zeit für die angekündigte große Sensation: Die kleinste Uhr der Welt will Herr Billmann uns noch eben zeigen, bevor wir alle zurück in die Redaktionen rasen, um die verlorene Zeit wieder einzuholen: Viel kleiner als ein Pfennigstück, verteidigt dieses mechanische Uhrwerk aus dem Jahr 1929 immer noch ihren Guinness-Rekord. Daß ElisabethII das gute Stück am Arm trug, als sie 1953 zur Königin gekrönt wurde, ist der ganze Stolz der Hersteller.

Wie gut, daß das gestrenge Protokoll des Buckingham-Palastes der jungen Königin sowieso nicht gestattet hätte, während der langwierigen Prozedur einen Blick auf ihr Mini-Chronometer zu werfen. So klein, wie die Zeiger sind, ist das nämlich ziemlich mühsam, wie auch Herr Billmann zugeben muß. „Aber“, so antwortet er distinguiert auf meinen prosaischen Einwurf, „man wird wohl diese Uhr kaum kaufen, um die Zeit abzulesen.“ Wieso auch, dem Glücklichen schlägt ja eh keine Stunde. Daß wird wohl auch Lisbeth gewußt haben.

„Uhr-Kultur“: zu sehen bis zum 6.April zu den üblichen Geschäftszeiten bei Juwelier Hans Lorenz, Rheinstraße 59.

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