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■ StadtmitteDie Diktatur der Olympischen Spiele

Der Berliner Senat läßt zur Zeit keine Gelegenheit aus, die Zeugnisse der Terrorherrschaft des SED-Regimes aus dem Stadtbild zu tilgen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dabei eigneten sich gerade solche Zeiten, sich zu erinnern. Zum Beispiel daran, wer eigentlich auf die Idee gekommen ist, Olympische Spiele in Berlin zu veranstalten. Um es kurz zu machen: Einer von beiden sitzt im sonnigen Chile.

Nachdem der damalige US- Präsident Reagan bei seinem Besuch in West-Berlin 1987 erstmals von Ost-West-Spielen gesprochen hatte, beglückte die Staats- und Parteiführung der DDR das Volk mit der Idee, Olympia in Leipzig zu veranstalten – und erntete Hohn und Spott. Später dann war Ost-Berlin im Gespräch, Rot-Grün wollte die Spiele in beiden Stadthälften, und plötzlich gab es nur noch eine Stadt. Das eigentliche Argument für Olympia blieb sich freilich gleich: die Spiele als schnellstes und kostengünstigstes Instrument zur umfassenden Stadterneuerung. Mit den Vorbereitungen zum Riesenrummel sollte bereits dem Verfall in Leipzig abgeholfen werden.

Doch häufiges Wiederholen macht eine Lüge nicht richtiger. Verschwiegen wurde nämlich hier wie dort, daß eine solche Stadterneuerung in Wahrheit Stadtumbau, die vollständige Veränderung der gewachsenen urbanen Strukturen in den von Olympia betroffenen Vierteln bedeutet. Durch glückliche Umstände hat sich etwa der Prenzlauer Berg in den vergangenen vierzig Jahren relativ ungestört entwickeln können. Maßgeblichen Anteil hatten seine Bewohnerinnen und Bewohner. Sei es, daß sie sich Mitte der sechziger Jahre erfolgreich gegen die Errichtung eines Fernsehturms wehrten, sei es, daß sie die Mitte der achtziger Jahre geplante Kahlschlagsanierung etwa in der Ryke- oder Oderberger Straße verhinderten. Dieses Selbstbewußtsein, diese bürgerliche Zivilcourage begründete seinerzeit den Charme, die Anziehungskraft des Stadtbezirks. Und andererseits bereitete sie der Administration Kopfzerbrechen, weil von zu viel Bürgersinn allemal Gefahr für den Staat ausgeht.

Und wie schon zu DDR-Zeiten ist auch heute Ruhe erste Bürgerpflicht. Nach den bisher bekannten – unvollständigen – Plänen der Berliner Olympia-Maniacs wird vom Prenzlauer Berg, wie wir ihn kennen, nichts mehr übrigbleiben. So wie der Bezirk Mitte durch die Bundesregierung per Hauptstadtvertrag in einen einzigen Regierungsbunker umgewandelt wird, wird sich der Prenzlauer Berg nach der Implantation verschiedener Wettkampfstätten und des Pressezentrums neben den bekannten Auswirkungen auf Mieten und Sozialstruktur auch in einen einzigen Hochsicherheitstrakt verwandeln. Schon heute werden in bewußter Verdrehung der Tatsachen alle, die legal gegen den Größenwahn Widerstand leisten, in die Ecke der Berlinfeinde gedrängt. Auf ein paar eingeschlagene Fensterscheiben reagiert die Berliner Justiz mit lange nicht mehr gesehener Hysterie. Was so beginnt, wird in breiten Sicherheitskordons enden, die schon lange vor dem Beginn der Spiele den Stadtbezirk zerschneiden werden.

Duodezfürsten aller Zeiten und aller politischen Systeme neigen dazu, sich Denkmäler zu setzen und diejenigen ihrer Vorgänger zu schleifen. Darin unterscheiden sich Honecker und Diepgen nicht. Den ersten kannten wir. Der zweite soll uns kennenlernen. Wolfram Kempe

Wolfram Kempe, 33 , ist Autor und lebt seit 1984 im Prenzlauer Berg.

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